Postfaktisches Zeitalter und Fake-News sind zwei der Begriffe, die uns seit kurzem ständig medial entgegen wehen, ausgelöst in erster Linie durch den frag- und unwürdigen US-Präsidentschaftswahlkampf in diesem Jahr. Diese Ausdrücke sind allerdings nicht die Ursache, sondern die Folge der nicht vorhandenen Informationskompetenz von einer großen Mehrheit der Internetnutzer. Beschrieben wird damit eine weitverbreitete Unfähigkeit der User, offensichtliche Falschmeldungen von unbestrittenen Fakten zu unterscheiden. Eine aktuelle Untersuchung der Stanford Universität belegt, dass besonders Kinder und Jugendliche schwerwiegende Mängel in diesem Bereich ausweisen. Viele hiesige Politiker fordern mehr Informatikunterricht in den Schulen, aber wo bleibt die Forderung nach mehr Digital-, Medien- und Informationskompetenz in Schulen? Dass diese nötiger als jemals zuvor wäre, zeigen die nachfolgenden Resultate der Stanford-Studie.
Insgesamt wurden für diese Untersuchung 7.804 Schüler aus den Stufen Middle School. High School und College in 12 Bundesstaaten befragt. Die Schüler wurden im Zeitraum von Januar 2015 bis Juni 2016 befragt und mussten insgesamt 56 Aufgaben bewältigen. Aus dieser Studie einige interessante Aussagen:
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Erwartungsgemäß ergibt sich bei einer Vielzahl von Aufgaben und tausenden von Studienteilnehmern eine riesige Bandbreite an Antworten. Was die Studienautoren allerdings staunen ließ, ist die unglaubliche Konsistenz, wenn es um die Fähigkeit der Schüler geht, Informationen im Internet zu beurteilen. Diese lässt sich zusammengefasst mit nur einem Wort beschreiben: düster.
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Die sogenannten "Digital Natives" sind heute zwar problemlos in der Lage, von einer sozialen Medienplattform zur nächsten zu wechseln, und gleichzeitig noch ein Selfie von sich auf Instagram hochzuladen sowie eine SMS an einen Freund zu schicken. Müssen sie allerdings Informationen, die durch soziale Medienkanäle fließen, beurteilen und bewerten, lassen sie sich nur allzu leicht täuschen. Es geht nicht einmal darum, gut gemachte Fake-News von richtigen Meldungen zu unterscheiden. Vielmehr sind sie in den einfachsten Fällen nicht in der Lage, auch nur Werbeanzeigen von einem effektiven redaktionellen Text zu unterscheiden. Statt von Digital Natives muss man in solch einem Fall schon von digitalen Analphabeten sprechen.
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In der vorliegenden Untersuchung haben weniger als 20 % die Quelle eines Posts oder einer Fotografie hinterfragt. Viele Studenten haben Schwierigkeit, einen Tweet auf seine Glaubwürdigkeit zu prüfen. So haben nur wenige Teilnehmer erkannt, dass ein Tweet von einer professionellen Umfrage-Firma erstellt worden ist, die damit eine Umfrage machte.
In breiten Teilen der Öffentlichkeit herrscht die Meinung vor, dass wer mit digitaler Technologie umgehen kann, gleichzeitig auch über die Fähigkeit verfügt, echte Internet- und soziale Medien-Nachrichten von falschen unterscheiden zu können. Besonders Jugendlichen, den sogenannten Millennials, wird diese Eigenschaft gerne zu gesprochen. Nichts könnte weiter von der Wirklichkeit entfernt sein als diese Vorurteile. Das ist das Kernergebnis der vorliegenden Studie. Für Informationsspezialisten natürlich keine Überraschung, die tagtäglich genau diesen Widerspruch zwischen dem Umgang mit digitaler Technologie und der Interpretation von digitalen Inhalten an ihren Benutzern erleben. Überraschend an dieser Studie ist vielleicht - es fällt einem leider kein anderes Wort dazu ein, um die Studienresultate adäquat und weniger unfreundlich zu beschreiben - als die Unfähigkeit der Jugendlichen, Informationen und Inhalte aus dem Internet in irgendeiner Form richtig einzuordnen. Inwieweit diese fast komplett fehlende Informationskompetenz auch auf die Jugendlichen in anderen Ländern wie Deutschland zutrifft, ist ohne entsprechende Untersuchung reine Spekulation.
Um die eigenen Bürger vor potenziellen Falschinformationen im Internet zu schützen, wird in Deutschland der Ruf der Politiker nach einer Einschränkung der Meinungsäußerungen im Internet immer stärker. Anstatt auf mehr Informationskompetenz zu setzen, scheint es einfacher, durch Verbote das Problem zu beseitigen. Hassreden und Mordaufrufe aus dem Internet strafrechtlich zu verfolgen, ist ein anderer Fall, der eigentlich durch unsere bestehenden Gesetze schon abgedeckt wird. Vergessen werden darf nämlich nicht - trotz oder gerade wegen der obigen Ergebnisse -, dass in vielen Staaten dieser Welt die Meinungsfreiheit im Internet durch Zensur bedroht ist. Unter dem Deckmäntelchen der Verbreitung von vermeintlichen Falschmeldungen durch Regimegegner wird genau die gleiche "Argumentationskette" eingesetzt, um ungelegene Wahrheiten zu unterdrücken. Nein, wir brauchen weder ein Wahrheitsministerium noch eine Informationsbehörde, die über "wahre" Fakten wacht. Wir brauchen in erster Linie mehr Wissen und Informationskompetenz. Kritisch gegenüber Erkenntnissen zu sein ist richtig. Daraus sich sofort eine Verschwörungstheorie zu basteln, nur weil einem die Ausrichtung mancher Resultate nicht passt, führt ebenso nirgendwo hin. Verfolgt man z.B. einige der Diskussionen auf dem Online-Portal von Heise (Herausgeber der deutschen IT-Bibel namens c't), stellt sich wirklich die Frage, ob man Computerexperten so viel Macht und Einfluss bei der Weiterentwicklung von Technologie geben sollte. Dort wird u.a. die Theorie vertreten, dass zu Beginn des Webs keine Regulierungen nötig waren, weil die IT-Experten unter sich waren, und so mit diesen Falschmeldungen umgehen konnten. Erst dadurch, dass "Hinz und Kunz" dazu gekommen sind, sei es zu dieser gerade für Informatiker nicht nachvollziehbaren Überwachungs- und Kontrollwut des Staates gekommen. Hier vergleichen einige eine Mücke mit einem Elefanten, bzw. leiden an maßloser Selbstüberschätzung. Die Zeiten, wo in Diskussionsforen Schabernack - also harmlose Späße mit anderen Forennutzern getrieben wurden -, sind schon seit mehr als 20 Jahren vorbei. Spätestens mit der Entstehung der Netiquette und der Überwachung durch Foren-Moderatoren waren diese anarchischen Zeiten vorbei.
Quelle: "Evaluating Information: The Cornerstone of Civic Online Reasoning"; November 2016, online abrufbar unter https://sheg.stanford.edu/upload/V3LessonPlans/Executive%20Summary%2011.21.16.pdf
Schlagwörter: Falschmeldungen, Informationskompetenz, Internetnutzung, Jugendliche, soziale Medien