ROI in Kontext
Datum: 20. August 2017
Autor: Erwin König
Kategorien: Fachartikel

In den letzten Jahren haben sich alle Arten von Bibliothekstypen und Informationseinrichtungen durch die Auswirkungen der Digitalisierung weitreichend weiterentwickelt und verändert. Spezialbibliotheken, wie z.B. Firmenbibliotheken, sind da keine Ausnahme. Sie kämpfen daneben auch mit vielen der typischen Probleme von anderen Bibliotheksarten, wie knappe Budgets und Legitimierungsprobleme. Trotzdem unterscheiden sie sich in einigen spezifischen Punkten unverkennbar von öffentlichen oder wissenschaftlichen Bibliotheken. In diesem Beitrag werden die steigenden Anforderungen an Spezialbibliotheken in Unternehmen analysiert, wenn es um die Messung und Demonstration ihres Werts für Nutzer und Management geht. Im Fokus steht dabei der Return on Investment (ROI), also eine Kennzahl für die betriebswirtschaftliche Rendite für eine Tätigkeit oder Dienstleistung, gemessen anhand des Gewinns im Verhältnis zum eingesetzten Kapital. Diese Aufgabe gestaltet sich besonders für Bibliotheken und Informationszentren schwierig, die in einem unternehmerischen Umfeld angesiedelt sind. Bei unsachgemäßer Nutzung des ROI besteht die Gefahr, lediglich als eine weitere Kostenstelle angesehen zu werden, die nur einen geringen finanziellen Beitrag zum gesamten Unternehmensgewinn leistet.

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Grundsätzlich besteht eine große Wahrnehmungsdifferenz, wie Informationseinrichtungen in Unternehmen selbst ihren eigenen Wert bewerten, und wie dies auf der anderen Seite von der Unternehmensleitung, Führungskräften oder den Nutzern dieser Informationsangebote beurteilt wird. Eine Untersuchung von De Bono & Arnold aus dem Jahr 2013 beziffert diese Abweichung auf bis zu 31 Prozentpunkte für einige Branchen. Im Durchschnitt beläuft sich dieser Wert auf 21 Prozentpunkte. Die Information Professionals sehen ihren Wert also als deutlich höher, als dies tatsächlich unternehmensintern der Fall ist. Diese große Kluft ist umso problematischer, wenn man beachtet, dass Informationseinrichtungen ohnehin viel Aufwand betreiben müssen, um ihre Finanzierung sicherzustellen. Spezialbibliotheken müssen aus diesem Grund ihren Status als reine Kostenstelle überwinden.

Nachfolgend wird anhand einer Fallstudie gezeigt, wie Spezialbibliotheken in Unternehmen ROI-Analysen durchführen und diese optimal für ihre Zwecke strukturieren und nutzen können. Es handelt sich dabei um den Rüstungs- und Luftfahrtkonzern Lockheed Martin und um dessen Segment „Missiles and Fire Control“. Dieser operative Geschäftsbereich verfügt über mehr als 10.000 Mitarbeiter und besitzt Bibliotheken an den Standorten Dallas (Texas) und Orlando (Florida). Die dortigen Bibliotheken des Rüstungskonzerns beschäftigen insgesamt 4 Bibliothekare, 2 bibliothekarische Aushilfskräfte sowie eine studentische Kraft. Es handelt sich folglich mitarbeitermäßig um relativ kleine Informationseinrichtungen. Die Überlegungen, überhaupt eine ROI-Studie durchzuführen, basieren auf den im Jahr 2010 erfolgten Budgeteinsparungen bei anderen Bibliotheken des Gesamtkonzerns. Oder anders ausgedrückt, die Einsparungen an den anderen Standorten wurden als handfeste Warnung für die eigenen Einrichtungen interpretiert. Von daher wollte man für den Fall der Fälle vorbereitet sein, um schon eine Legitimierungsgrundlage zu besitzen.

Folgende Ziele wurden mit dieser Analyse im Einzelnen verfolgt:

  • Die Bibliothek benötigt einen methodischen Ansatz, um den Wert ihrer Dienstleistungen beziffern zu können. Mit diesen Kennzahlen soll es möglich sein den „Return“-Anteil im ROI zu bestimmen, d.h. welchen Wertbeitrag hat die Informationseinrichtung für das Unternehmen erbracht.

  • Die Bibliothek besitzt zwar eine Datenbank mit verschiedenen Nutzungsstatistiken. Um die ROI-Studie zu vervollständigen, benötigt sie aber darüber hinaus noch weitere Erhebungsmethoden, um zusätzliche Informationen von den Nutzern einzuholen sowie Unterstützung von anderen Abteilungen erhalten zu können.

  • Die Bibliothek hat außerdem erkannt, dass sie die ROI-Analyse noch mit entsprechendem Kontext erweitern muss, um einen maximalen Effekt zu erzielen. Bloße Kennzahlen sagen allein nämlich nicht viel aus. Erst durch überzeugende und begleitende Erläuterungen ist man in der Lage, den vollen Wert einer Bibliothek an die Entscheidungsträger zu vermitteln.

Allgemein sind ROI- und verwandte Techniken in den letzten Jahren in der Bibliothekswelt zu einem weit verbreiteten Mittel geworden, um den Wert einer Einrichtung für eine Kommune oder ein Unternehmen anschaulich zu bestimmen. Dieses Vorgehen, d.h. die Kosten einer Dienstleistung dem dadurch erzielten Nutzen gegenüberzustellen, besitzt verschiedene Vorteile. Zu nennen sind hier in erster Linie die Einfachheit bei der Umsetzung sowie die Verwendung von ökonomischen Fachbegriffen, die den diversen Anspruchsgruppen vertraut sind und daher meist gut ankommen. Viele öffentliche Bibliotheken benutzen diese Zahlen als Werbemittel im Rahmen ihrer Kampagnen für mehr Fördergelder. Das öffentliche Bibliothekssystem in Florida beziffert z.B. den ROI ihrer Bibliotheken mit 1 $ bis 10,18 . SelbstbeieinemROIvon1 machen die öffentlichen Träger unter dem Strich keinen Verlust, d.h. Bibliotheken sind an sich selbsttragend.

Grundsätzlich haben Bibliotheken bei der Berechnung ihres ROI aber gewisse Schwierigkeiten zu überwinden. Von ihren Diensten und Informationsangeboten profitieren zwar zahlreiche Benutzer, aber es handelt sich überwiegend um immaterielle Werte, für die in der Regel keine Marktpreise erhältlich sind, und die somit nur schwer in monetäre Einheiten umgerechnet werden können. Im vorliegenden Fallbeispiel wurde für dieses Problem eine einfache Strategie für die ROI-Berechnung gewählt. Mit Hilfe einer Umfrage unter einem Teil ihrer Benutzer sollte herausgefunden werden, wer welche Dienste nutzt, wie häufig die Benutzer zur Bibliothek zurückkommen und welchen Nutzen sie aus diesen Diensten ziehen (jeweils unterteilt nach der Berufsgruppe und der Abteilung). In Fokus stehen hierbei besonders die realisierten Zeiteinsparungen der Mitarbeiter durch die Nutzung der Bibliothek. Anschließend werden die Kosten der Bibliothek für die Bereitstellung der Informationsdienste mit dem Kostenaufwand verglichen der entstünde, wenn die Benutzer sich diese Informationen selbst beschaffen würden. Damit können die effektiven Kosteneinsparungen für das Unternehmen belegt werden.

Anzumerken ist, dass es aufgrund bestehender unternehmensinterner Richtlinien von Lockheed Martin nicht gestattet ist, massenweise E-Mails direkt an alle Benutzer der Bibliothek zu versenden. Ein Problem, das wohl in vielen Unternehmen in dieser Form besteht. Aus diesem Grund wurde eine Umfrage basierend auf einer kleineren Stichprobe mit häufigen Nutzern von Bibliotheksdiensten erstellt.

Zu den Kennziffern, die man zur Berechnung des ROI einsetzen kann, zählen z.B.:

  • Anzahl an hilfreichen Benutzungen der Bibliothek,

  • Prozentuale Zeiteinsparung pro Nutzung,

  • Gesamte Zeiteinsparung aller Nutzungen in einer bestimmten Zeitspanne (Jahr, Monat etc.),

  • Gesamte Kosteneinsparung aller Nutzungen in einer bestimmten Zeitspanne (Jahr, Monat etc.).

Von Beginn dieses Projekts an war den beteiligten Informationsspezialisten klar, dass die Berechnung einer bloßen ROI-Kennzahl als Endergebnis dieser Umfrage allein nicht überzeugend ist. Vielmehr benötigt es Zusammenhänge, um den Nutzen der verwendeten Bibliotheksdienste zu verdeutlichen. Aus diesem Grund wurde zusätzlich in dem Fragebogen nach der Art der genutzten Dienste, der Häufigkeit der Nutzung sowie der Art der erhaltenen Leistungen gefragt. Als Resultate haben sie u.a. ergeben, dass Recherchedienste die beliebtesten Dienstleistungen sind und der typische Benutzer der Berufsgattung „Ingenieur“ (85 %) angehört. Der typische Benutzer besucht zudem die Bibliothek wiederholt. So haben 23,5 % die Bibliotheksdienste mindestens 2- bis 5-mal in den letzten 12 Monaten genutzt, 28,7 % 6- bis 11-mal, 27 % 12- bis 25-mal und 18,3 % sogar mehr als 25-mal innerhalb eines Jahres. Knapp 92 % der antwortenden Benutzer haben durch die Bibliothek Zeit gespart, 70 % haben durch die Bibliotheksdienste Kosten gespart und 55 % waren Dank der Bibliothek in der Lage, einen Vertrag abzuschließen.

In dem vorliegenden Fallbeispiel konnte zudem im Zeitablauf (Anmerkung: diese Umfrage wurde mit einer größeren Anzahl an Umfrageteilnehmern in den folgenden Jahren wiederholt) ein steigender ROI nachgewiesen werden. Die dort beschäftigten Informationsspezialisten sind der Meinung, dass dies eine Folge der ausgebauten Informationsangebote ist und auch auf die stärkere Einbindung der Bibliotheksdienste in die Unternehmensprogramme zurückzuführen ist. Die ROI-Umfrage wurde in den folgenden Jahren zudem mit neuen Fragen vertieft. Aufschlussreich scheint in diesem Zusammenhang besonders die Frage zu sein „Wo würden Sie sich Ihre Informationen beschaffen, wenn es die Bibliothek nicht gäbe?“. Die Top-Antworten sind: Google, Arbeitskollegen und der einfache Verzicht auf diese benötigten Informationen. Was gerade die letzte Antwort für ein Unternehmen bedeutet, wenn es denn Realität würde, muss man nicht weiter ausführen.

Insgesamt stellen ROI-Analysen für Spezialbibliotheken in einem unternehmerischen Umfeld ein mächtiges Werkzeug dar, um einerseits Informationen über ihren eigenen Wert zu sammeln, sowie andererseits diesen Mehrwert für Unternehmen und Kunden auch allgemeinverständlich zu demonstrieren. Dies gilt umso mehr, wenn es gelingt, diese Kennzahlensysteme durch von Benutzern hinzugefügte Anekdoten und kontextbezogene Informationen noch anschaulicher zu kommunizieren. Somit hilft eine ROI-Untersuchung den Informationseinrichtungen selbst, um möglichen Fragen zu ihrer eigenen Relevanz zuvorzukommen, und um ihr Budget zu rechtfertigen. Zusätzlich erhält die Bibliothek durch diese Art der Datensammlung wichtige Hinweise über möglich fehlende Dienste oder Informationsangebote, von denen die Bibliotheksmitarbeiter ansonsten auf andere Weise kaum erfahren würden. Natürlich ist die alleinige Berechnung des ROI nicht ausreichend, um vor jeglichen Budgetkürzungen gefeit zu sein. Es benötigt dazu neben den richtigen Informationsressourcen und Angeboten, den geeigneten Mitarbeitern u.a. auch genauso kontinuierliche Marketingmaßnahmen, die Mitarbeit bei Unternehmensprojekten und in anderen Abteilungen, sowie gerade in Unternehmen auch ein gewisses Beziehungs-Netzwerk besonders zu der sogenannten C-Suite. Wer in einem Unternehmen nicht groß sicht- und wahrnehmbar ist, wird selbst mit einem hohen ROI früher oder später Probleme bei der Legitimierung von Ausgaben bekommen. Unternehmen und andere Organisationen beruhen schließlich nicht allein auf Zahlen, sondern mindestens im gleichen Ausmaß auch auf menschlichen Beziehungen.

Quelle:

Murray, Tara E.; Vilches, Kate: „ROIs and Surveys in Special Libraries: One Corporate Experience“; in: Journal of Library Administration, 2017, Vol. 57, No. 4, 461-467, http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/01930826.2017.1300457

Schlagwörter:

Firmenbibliotheken, Marktforschung, Rentabilität, Return on Investment (ROI), Spezialbibliotheken, Umfragen

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