Überall Hinweistafeln, aber was bedeuten sie?
Datum: 2. Dezember 2015
Autor: Erwin König
Kategorien: Fachartikel

Die Bibliothekswelt ist bekanntlich voll von Fachbegriffen und Abkürzungen, um die diversen Bibliotheksaktivitäten und -dienste zu beschreiben. So wichtig diese Fach-Terminologie ist, z.B. auch für Marketingzwecke, ist es ein essentielles Missverständnis der Informationsspezialisten, dass sie glauben, dass ihre Benutzer immer verstehen, was sie mit ihrer Fachsprache ausdrücken wollen. Der folgende Beitrag untersucht anhand des für Bibliothekare eindeutigen Begriffs "Auskunft" (engl. Reference), was Studenten und Fakultätsmitarbeiter genau unter diesem Ausdruck verstehen.

Die Untersuchung wurde an der Regis Universitätsbibliothek durchgeführt. Die Regis Universität in Colorado ist eine mittelgroße Universität mit ca. 10.000 Studenten. Die dortige Bibliothek umfasst verschiedene Abteilungen wie Auskunftsdienste, Datenbankzugänge, Mediendienste, elektronische Dienste, Ferndienste sowie technische Dienste. Die Bibliothek besitzt ca. 394.000 gedruckte Bücher, 119.000 E-Books sowie diverse andere Medien, wie gebundene Zeitungsausgaben, Zeitschriften und audiovisuelle Medien.

Auch wenn es natürlich ein Klischee ist, erwarten die Benutzer, wenn sie eine Bibliothek betreten, dass sie am Auskunftsschalter einen konservativ aussehenden, brillentragenden und leise sprechenden Bibliothekar antreffen. Bibliothekare kennen diese stereotypen Vorstellungen der Besucher zur Genüge und verfluchen sie gleichzeitig auch. Schon seit langer Zeit kämpfen Informationsspezialisten und Bibliotheken darum, ihre vielfältigen Dienstleistungen zu erklären, zu vermarkten und zu definieren. Genau diese Vielfalt erschwert es aber nicht selten, die Benutzer auf die "richtige Spur" zu bringen, da die auf Hinweistafeln angebrachten Begriffe sich eben nicht jedem Besucher sofort erschließen. Ein Usability-Aspekt, dem in vielen, wenn nicht den meisten Bibliotheken kaum Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Zuerst ein Blick auf die vorhandene Fachliteratur zu diesem Thema. Diverse Studien haben z.B. nachgewiesen, dass die Benutzer oftmals von den vielfältigen Funktions- und Personalbezeichnungen verwirrt sind (Fagan, 2003; Hernon & Pastine, 1977; Massey-Burzio, 1998). Zudem kennt eine Mehrheit der Benutzer auch nicht alle von einer Bibliothek angebotenen Dienstleistungen (Loprinzo, 2009). Ebenfalls scheint nicht für jeden Benutzer klar zu sein, wer tatsächlich ein Bibliothekar ist, im Vergleich zu den anderen Bibliotheksmitarbeitern. Viele Benutzer gehen fälschlicherweise davon aus, dass jede Person hinter einem Auskunftsschalter auch gleich ein ausgebildeter Bibliothekar ist. Dieser Punkt wird dann besonders problematisch, wenn es mehrere solcher Schalter gibt. Die Benutzer unterscheiden, und können dies eigentlich auch nicht erkennen, somit nicht nach Personal, das für einfache Anliegen zuständig ist, und wer für "professionelle" Hilfe zuständig ist, z.B. für eine komplexe Rechercheanfrage. Im zweitem Fall wollen sie eine konkrete, fachbezogene Unterstützung erhalten, und nicht nur eine freundliche Antwort darauf, wo sie ihre Bücher zurückgegeben können. Nicht überraschend sind daher einige Bibliotheken dazu übergangen, ihre Theken visuell zu verändern und mit eindeutigeren Bezeichnungen auszustatten, um den Benutzern das Leben einfacher zu machen.

Ähnliche Änderungsvorschläge erwartet die Regis Universitätsbibliothek durch die nachfolgend vorgestellten Umfrageresultate. Für diese Studie wurden Benutzer dieser Bibliothek befragt, d.h. in erster Linie Studenten und Fakultätsmitarbeiter. Insgesamt wurden 436 online oder gedruckte Fragebögen gesammelt.

Zu den wichtigsten Resultaten:

  • Von den 436 Antwortenden waren 173 Studenten, 49 Doktoranden, 182 Lehrkräfte, 21 Mitarbeiter und 11 kommunale Nutzer.

  • Bei der Frage nach den genutzten Zugangswegen zur Bibliothek wurde am häufigsten von den Umfrageteilnehmern (Mehrfachantworten möglich) die Bibliothekshomepage (79,4 %) vor dem persönlichen Besuch (70,4 %), per E-Mail (19,2 %), per Telefon (12,1 %) und per Chat (4,3 %) genannt.

  • Nach den verschiedenen Benutzergruppen differenziert, nutzen die Lehrkräfte am häufigsten die diversen Fernzugänge, d.h. Web, Telefon, E-Mail und Chat. Studenten und Doktoranden bevorzugen dagegen eher den persönlichen Besuch in der Bibliothek.

  • Die meisten Benutzer (32,5 %) besuchen die Bibliothek 2- bis 5-Mal im Monat. 30,1 % der Benutzer kommen 10-Mal oder öfters im Monat in die Bibliothek.

  • 67,6 % der Fakultätsmitarbeiter, gegenüber 52,6 % der Studenten und 65,3 % der Doktoranden, haben die Hilfe von Bibliothekaren in Anspruch genommen.

  • Am häufigsten wurde die Unterstützung für das Finden von Büchern (32,5 % über alle Benutzergruppen betrachtet) benötigt. Auffällig ist, dass die Doktoranden im Verhältnis zu den zwei anderen Nutzergruppen besonders häufig Hilfe (28,6 %) bei technischen Problemen und Computerfragen gesucht haben. Dies wird damit erklärt, dass die Doktoranden nach einer längeren Abwesenheit an die Hochschule kommen, sowie auch bevorzugt Online-Kurse besuchen.

  • Bei der Frage, welche sonstigen Informationsquellen neben den Bibliotheksressourcen die Teilnehmer einsetzen, um Informationen für ihr Studienfach oder ihre Forschungen zu finden, hat erwartungsgemäß eine große Mehrheit die Websuchmaschinen genannt.

  • Auf die Frage, welchen Ausdruck/Begriff die Benutzer auf einer Hinweistafel erwarten würden, wenn sie nach Hilfe suchen würden, haben 36,2 % der Teilnehmer "Hilfe", 26,1 % "Recherche", 17,4 "Auskunft" und 12,8 % "Unterstützung" genannt. Diese Verteilung findet sich in ähnlicher Form bei jeder der drei Benutzergruppen.

  • Auf die Frage, was ihnen in den Sinn kommt, wenn sie das Wort "Reference" sehen oder hören, haben 18,8 % "Recherche", ebenfalls 18,8 % "Hilfe", 18,5 % "Bücher", 16,2 % "Artikel", 13,3 % "Information" und 9,4 % "Auskunft". Die Autoren spekulieren dabei, dass der hohe Wert für den Begriff "Bücher" dadurch zu Stande kommt, dass die Benutzer, d.h. Studenten und Lehrkräfte, bewusst oder unbewusst "Reference" mit dem Ausdruck "Nachschlagebücher" (engl. reference books) verbinden. Studenten verbinden übrigens mit "Reference" am häufigsten den Ausdruck "Hilfe" (30,6%). Den Fakultätsmitarbeitern kommt bei "Reference" am ehesten der Begriff "Bücher" in den Sinn und den Doktoranden der Ausdruck "Artikel" (28,6 %).

Das Untersuchungsziel dieser Studie war es, Hinweise darauf zu erhalten, wie Benutzer die "Regis Auskunftsabteilung" und den "Regis Auskunftsschalter" wahrnehmen. Dabei wurden auch einige bisher nicht bekannte Aspekte aufgedeckt. Die virtuelle Auskunft weist z.B. eine sehr niedrige Nutzungsrate auf. Die Studienergebnisse verweisen nun zugleich auf die möglichen Gründe für diese schwache Nutzung, nämlich dass die Bibliothek zu wenig Zeit für das Marketing dieses Dienstes aufgewendet hat. Als Folge der Studienresultate wurde übrigens die Beschilderung der Auskunftstheke der Regis Universitätsbibliothek auf "Research Help" umgeändert. Weiterhin soll auch die Berufsbezeichnung von "Reference Librarians" zu "Research & Instruction Librarians" geändert werden, um mit den Untersuchungsergebnissen konform zu sein.

Benutzerbefragungen sind und bleiben das wichtigste Werkzeug für Informationseinrichtungen, um sich vor der sogenannten "Betriebsblindheit" zu schützen. Dies zeigt auch der vorliegende Beitrag wieder einmal eindrücklich. Und ebenfalls, wie bei solchen Studien üblich, finden sich mehr Erkenntnisse, als mit den ursprünglichen Untersuchungsfragen eigentlich geplant war. Grundsätzlich sollte das Thema mit den bibliothekarischen Fachbegriffen aber noch weiter vertieft werden. Die hier vorgestellte Studie ist somit nur der erste Schritt zu diesem in der Fachliteratur nur selten diskutierten Thema. Nicht jeder Benutzer kann mit Thesaurus, Dewey-Dezimal Klassifikation, OPAC etc. etwas anfangen. Eine Vereinfachung der Terminologie zumindest für die Benutzer, sowie ein etwas zurückhaltender Einsatz von nicht erklärten Abkürzungen würden die Bibliotheken deutlich benutzerfreundlicher gestalten. Und gleichzeitig würde dies die Angst von nicht wenigen Besuchern vor einem Besuch nehmen. Schließlich sollte ein Gang zur Bibliothek nicht ähnliche mulmige Gefühle auslösen wie ein Besuch bei einem Zahnarzt, sondern eher so etwas wie Vergnügen bereiten.

Quelle: O'Neill, Kimberly L.; Guilfoyle, Brooke A.: "Sign, Sign, Everywhere a Sign: What Does “Reference” Mean to Academic Library Users?"; in: The Journal of Academic Librarianship 2015, Vol. 41, 386–393, http://dx.doi.org/10.1016/j.acalib.2015.05.007

Schlagwörter: Auskunft, Benutzerfreundlichkeit, Bibliotheken, Bibliotheksjargon, Hinweistafeln, Terminologie

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