Editorial 5-2022
Datum: 26. Juli 2022
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Schon wieder Blockchain, oder doch nicht?

Moderne Technologie und innovative, technikgetriebene Methoden waren für die Entwicklung von Bibliotheken und ihren Dienstleistungen und Angeboten schon immer von besonderer Bedeutung.

Ganz im Gegensatz zur landläufigen Meinung, Bibliothekarinnen und Bibliothekare seien überaus konservativ, vorsichtig und in Teilen gar rückschrittlich, gehören die Kolleginnen und Kollegen unserer Branche zusammen mit den Informationsspezialisten zu den wagemutigsten und aufgeschlossensten Berufsgruppen.

Kaum waren die ersten CD-ROMs auf dem Markt, haben Bibliotheken ganze Bestände und ihre Kataloge digitalisiert und auf dieses neue Medium umgestellt. Im Internet waren Bibliotheken immer vorne dabei, wenngleich nicht mit Spielereien, sondern mit Anwendungen in notwendiger Ernsthaftigkeit an der Sache, denn Literatur- und Informationsversorgung, Erschließung und Archivierung von bedeutsamen Inhalten sind etwas ganz anderes als Bunte-Bildchen-Spiele wie TikTok oder Snapshot, die nicht nur Kinder und Jugendliche als Zeitvertreib nutzen, sondern die auch viele Erwachsene um ihre Zeit bringen.

Nun ist also wieder etwas Neues auf dem Technologiemarkt, über das Bibliotheken nachzudenken beginnen und überlegen, inwieweit sie sinnvoll in bibliothekarische Zusammenhänge gebracht werden können. (Zu den Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain in Bibliotheken, S.2).

Die Blockchain-Technologe ist zwar nicht brandneu, sondern schon einige Jahre alt, aber sie ist im Wesentlichen auf das Thema Kryptowährung beschränkt und so zur Bekanntheit gelangt. Wie bei allen neuen Technologien finden sich Bibliotheken im Spannungsfeld von Early-Adopter-Nutzern und Late Majority wieder, denn sie müssen Investitionsentscheidungen auf der Basis einer sauberen Abwägung treffen, ob die neue Technologie wieder Spielerei bleibt, nur ein Strohfeuer ist oder sich als dauerhaft etabliert und damit auch von Bibliotheken adaptiert und ernstgenommen werden muss.

Gewiss, es wird bei solchen Überlegungen keine hundertprozentige Sicherheit geben können und ein Risiko darf und muss dabei immer auch möglich sein. Aber genau das macht ja die erfolgreiche Bibliothek aus, dass es ihr durch Know-how, Kompetenz und die richtige Managemententscheidung gelingt, möglichst treffsicher zu sein. Dass Fehleinschätzungen möglich sind und vorkommen, weiß jeder, der die eine oder andere große Bibliothek im längst vergessenen Spiel des „Second Lifeˮ gefunden hat, wo mit großem Aufwand produzierte Avatare durch nachgebaute altehrwürdige Staatsbibliotheken spazierten.

Ob das gerade erfundene „Metaverseˮ, das nichts anderes ist als ein neues Second Life, aber von gewaltiger Wirtschaftsmacht getrieben und Suchtpotenzial durch Belohnungssysteme verursachend, auch ein Tummelplatz von Bibliotheken werden kann, bleibt abzuwarten.

Das Gleiche gilt auch für die Blockchain-Technologie, die von vielen Seiten bereits wieder als untergehender Stern betrachtet wird, nicht zuletzt, weil der Betrieb gigantische Summen an Energie frisst, die die Welt gerade für wichtigere Dinge verwenden will oder auch gar nicht mehr bezahlen kann.

Es bleibt dabei: Auch innovative Bibliotheken müssen sich im Spannungsfeld zwischen experimentellem Ausprobieren ganz neuer Technologien einerseits und der Anwendung sichererer und etablierter Verfahren andererseits bewegen. Sie müssen und dürfen Innovationstreiber sein, ohne auf die standardisierten Routinen eines funktionierenden und gut geölten Betriebsablaufs zu verzichten.

Genau das ist es, was das Management von Bibliotheken so spannend und aufregend macht. Genießen wir es!

Herzlich
Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.