Editorial 5-2021
Datum: 23. Juli 2021
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Wenn der Monopolist abschaltet

Es ist noch nicht lange her, da eskalierte der Streit zwischen Facebook und der australischen Regierung. Wollte doch Australien den Internetgiganten verpflichten, bei der Nutzung von journalistischen Inhalten entsprechende Gebühren an die Verlage der Zeitungen zu zahlen. Facebook ging auf Konfrontation und stellte den Dienst für das ganze Land einfach ab.

Es ist nichts Besonders, wenn Staaten und ihre Behörden mit den (privaten) Unternehmen eines Landes aneinandergeraten. Das kommt vor und dafür gibt es in (demokratischen) Gesellschaften Regeln und Gesetze, auf deren Basis eine Einigung erzielt und eine für beide Seiten gute Lösung ermöglicht werden kann.

Nur wenn eine Seite zu stark und mächtig wird, wenn ein Monopolist ganze globale Märkte beherrscht, geraten der freie Markt und die notwendige staatliche Regulierung aus dem Gleichgewicht. Das zeigt der Fall Facebook in Australien und das zeigen andere Auseinandersetzungen zwischen globalen Internetkonzernen und den Gesellschaften, denen sie mit ihrem Kapital eigentlich dienen sollten.

Wer zu viel Macht besitzt, gerät in Gefahr, diese zu missbrauchen. Das ist die einfache Konsequenz, die sich aus diesen Konflikten herauslesen lässt. In demokratischen Gesellschaften sorgen freie Gerichte, Kontrollinstanzen, freie Wahlen und andere Systeme der Checks and Balances dafür, dass auch staatliche Macht nicht ins Bodenlose stürzt.

Wenn Privatunternehmen aber zu groß und zu mächtig werden und ganze globale Märkte dominieren, wird die Sache schon komplizierter und auch gefährlicher.

Selbst im vergleichsweise kleinen Markt der Bibliothekssysteme und der Informationsprodukte existiert eine Fusionswelle und wird die Entstehung globaler Monopole und Oligopole zunehmend zu einem Problem. Schon länger teilen sich auf dem Markt für STM-Produkte nur noch eine Handvoll globaler Verlage die Umsätze. Nun verschmelzen auch Unternehmen verschiedener Produktgruppen. Wenn Clarivate das Unternehmen ProQuest aufkauft, kommen Produktportfolios zusammen, die nahezu das komplette Angebot von Bibliotheken umfassen: Bibliothekssoftware, Bibliothekstechnik, wissenschaftliche Inhalte und Datenbanken zur Analyse der Nutzung dieser Inhalte. Nur Naive erwarten von dieser Art Merger Skaleneffekte mit Preisvorteilen auf der Kundenseite.

Dieses Konglomerat verursacht bei allen anderen ein heftiges Stirnrunzeln. Denn nun verfügen solche Unternehmen nicht nur über die Nutzungsdaten der Inhalte, die Bibliotheken beschaffen, sondern auch noch über Daten zu deren Systemen und Technik, die sie einsetzen, um die Inhalte zu organisieren und zu administrieren. Die gläserne Bibliothek erhält damit eine ganz neue Ausdeutung: Plötzlich wissen unsere Geschäftspartner noch mehr als wir selbst; sie können die Daten verbinden und erhalten Einblicke in unsere internen Geschäftsabläufe, die in der Privatwirtschaft Betriebsgeheimnisse genannt werden.

Bei der nächsten Auseinandersetzung zwischen Verlagen und Bibliotheken wird man sehen, ob Clarivate plötzlich ganze Bibliotheken abschalten wird, so wie Facebook Australien abgeklemmt hat.

Wer will da noch Tendenzen kritisch sehen, die den Weg der Bibliotheken in Richtung Open Source-Software für die Systeme und echten Open Access für die Inhalte der Wissenschaft fordern?

Herzlich
Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.