Editorial 5-2014
Datum: 18. Juni 2014
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Schon wieder Zukunftstrends!

Die Informations- und Literaturversorgung verläuft in Unternehmen offensichtlich immer nach anderen Prinzipien als in akademischen Ökosystemen. Das leuchtet auch ein und deshalb kann man diese beiden Welten nicht uneingeschränkt miteinander vergleichen. Von- einander lernen sollte man aber dennoch: Denn das, was in der Industrie, in Banken oder anderen Dienstleistungsbranchen passiert, ist oftmals nur ein sehr früher Indikator für das, was früher oder später auch an Universitäten und anderen akademischen Institutionen mit der Bibliothek geschieht. Zwar schreckt man – anderes als jüngst in der deutschen Automobil- oder Pharmaindustrie – vor einer schnellen und vollständigen Schließung der Bibliothek oder den Informationsstellen zurück, aber die Frage nach dem Unternehmensbeitrag ist auch an Universitätsbibliotheken oft in Form mehr oder weniger geschickt kaschierter Stellen- und Budgetkürzungen angekommen.

Deshalb ist es so wichtig, genau hinzuschauen, was in der Privatwirtschaft mit den Informationsstellen und ihren Mitarbeitern geschieht. Französische Unternehmen, so in unserem Beitrag aus der Business Information Review, verzichten zunehmend auf Information Professionals und bevorzugen technische Lösungen für das Management von Informationen.

Genau das ist eine Tendenz, die in den nächsten 10-20 Jahren erwarten lässt, dass ein Großteil der einfacheren Aufgaben von Automaten erledigt werden können. Und dies nicht nur im unternehmerischen Umfeld. Es wird deshalb als vornehmliche Aufgabe von Informationsprofis und ihren Bibliotheken erwartet, dass sie genau diese technischen Systeme entwickeln und ihren Nutzern zur Verfügung stellen.

Die intellektuelle Leistung der Menschen wird dann nur noch benötigt für wirklich anspruchsvolle Aufgaben, die jenen Mehrwert schaffen, den technische Systeme nicht leisten können. Zudem wird zunehmend Personal eingestellt, das eine Doppelqualifikation mitbringt, um an dieser Schnittstelle die richtige Kombination aus Informationsprofi und Fachmann für das Unternehmen zu sein.

Eine sehr sinnvolle Entwicklung, die auch im akademischen Umfeld Früchte tragen kann, und ja bereits durch den Einsatz von Fachreferenten trägt.

Es muss uns Informationsspezialisten also nicht bange werden vor der Zukunft, wenn wir bereit sind, den zwangsläufigen Weg der Automatisierung aktiv selbst in die Hand zu nehmen und uns derjenigen intellektuellen Leistungen wieder erinnern, die eigentlich den Informationsspezialisten auszeichnen. Dass dabei allerdings einige alte Zöpfe abgeschnitten werden müssen und der Weg zur Automatisierung nicht halbherzig sein darf, muss auch klar sein.

Herzlich

Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.