Editorial 4-2022
Datum: 24. Juni 2022
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Und wer da suchet, der findet...

In Italien sind gleich mehrere Personen als Schutzheilige für Bibliothekare und Bibliotheken ausgemacht: der Heilige Hieronymus etwa, ein Gelehrter und Belesener der alten Kirche, der Heilige Laurentius oder die Heilige Katharina von Alexandrien, die zu den vierzehn Nothelfern gehört und bei Sprachschwierigkeiten angerufen wird.

Insgesamt aber ist unser Berufsstand doch noch nicht so prominent, dass es einen eindeutigen und nur für uns Bibliothekarinnen und Bibliothekare bestimmten und festgelegten Heiligen gäbe.

Das macht aber nichts, wir orientieren uns einfach eine Etage höher und können uns gar auf einen wichtigen Evangelisten berufen: Auf Matthäus nämlich, denn in seinem Evangelium finden wir den so zentralen Satz „...und wer da suchet, der findet...ˮ (Matthäus 7:8).

Wenn auch heute vor allem in der Wissenschaft (aber auch darüber hinaus) das Suchen von Literatur und Information nicht mehr den zentralen bibliothekarischen Knackpunkt darstellt, ist das Suchen und Finden zumal von spezieller Literatur und Information zu einem konkreten Inhalt noch immer eine komplexe Herausforderung. Dabei haben sich die Suchsysteme in den letzten Jahrzehnten in zwei entgegengesetzte Richtungen entwickelt.

Auf der einen Seite die immer einfachere Quick-and-Dirty-Suche, die im Gefolge der einfachen Internet-Suchmaschinen wie etwa Google ihren Suchaufwand für den Nutzer auf die letztmögliche Simplizität mit einem einzigen Suchschlitz reduziert hat und dabei immer eine erschreckende Trefferzahl von zehn- oder hunderttausenden Suchresultaten liefert. Auf der anderen Seite der Skala wurde aber schnell klar, dass auch Technik- und Datenbank-gestützte Suchsysteme an die Grenzen ihrer Leistungs- und Findbarkeitsfähigkeit geraten, wenn die Inhalte komplex sind und die Suche entsprechend aufwendig sein muss.

Während sich etwa die meisten Bibliothekskataloge und großen, fachübergreifenden bibliografischen Datenbanken auf der Basis der einfachen Google-Suche positionieren, gibt es zunehmend Spezialdatenbanken, die ihre Inhalte in aufwendiger Weise mit hochkomplexen Metadaten vorbereiten und erschließen, damit der Spezialist bei seiner Suche in die Lage versetzt wird auch Inhalte zu finden, die sich mit einer einfachen Google-Suche nicht mehr differenzieren und damit finden lassen.

Es zeigt sich also, dass das Know-how und der Service von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren, aber auch ihre Fähigkeiten, Wissen, Daten und Informationen zu erschließen, zu strukturieren und anzureichern und damit erst such- und findbar zu machen, keineswegs überflüssig geworden ist – ganz im Gegenteil.

Nie war es wichtiger, die riesige Masse von Inhalten angemessen zu erschließen und dazu adäquate Methoden und Technologien einzusetzen.

Falls es das jemals bei Bibliothekarinnen und Bibliothekaren gegeben haben sollte, war „one size fits allˮ eine naive und falsche, wenn auch schöne und verführerische Vorstellung für die Erschließung der Medien beim Übergang vom Analogen ins Digitale.

Heute wissen wir, dass Erschließungssysteme der ganzen Bandbreite unseres Know-hows bedürfen und ebenso aller möglichen technischen Systeme bis hin zur Anwendung von Künstlicher Intelligenz, damit einerseits die schnelle niederschwellige Suche möglich gemacht wird und andererseits Spezialisten in komplexen Datenbanken und Suchsystemen ihre sehr speziellen Inhalte finden können.

Dazu liefern wir mit dem Beitrag „Dort suchen, wo man am meisten findet, oder: Die Wahl der richtigen Datenbankˮ in der vorliegenden Ausgabe der Library Essentials ab Seite 7 weitere Hintergründe.

Ich möchte mir gar nicht anmaßen, unseren Evangelisten Matthäus zu ergänzen, aber für uns Bibliothekarinnen und Bibliothekare gilt eben: „Nur wer richtig sucht, kann auch richtig findenˮ.

Herzlich
Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.