Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Wenn Supermärkte einander gleichen wie ein Ei dem anderen, dann sind auch deren Angebote vergleichbar. Bei den Discountern etwa sind die Produkte berechenbar, vorhersagbar, sie werden effizient gemanagt und sind deshalb komplett kontrolliert und kontrollierbar. Diese Vereinheitlichung des Angebots bezeichnet man im Amerikanischen als „McDonaldisierung“. Auch bei diesem Schnellrestaurant sind keine (positiven) Überraschungen zu erwarten, alles ist vorhersehbar und berechenbar. Was einerseits die Effizient und Kontrolle erleichtert, führt andererseits zu einem mittelmässigen Geschmackserlebnis, einem immer gleichen Einerlei und zum Verlust von individuellem Erlebnis und positiver Überraschung. Vor 15 Jahren hatte Brian Quinn in einem Beitrag der Fachzeitschrift „College & Research Libraries“ die „McDonaldisierung“ von wissenschaftlichen Bibliotheken untersucht und davor gewarnt, dass sich Angebote und Dienstleistungen von Bibliotheken zunehmend gleichen. Nach seiner Meinung betrifft das die Suchsysteme, den Bestand, die räumliche Gestaltung und auch die jeweilige Bibliothekskultur und –atmosphäre.
Tatsächlich führen effizientere Strukturen und Prozesse, sowie die globalen „Big Deals“ beim Bestandsaufbau in wissenschaftlichen Bibliotheken zu einer gewissen Angleichung bei Form und Inhalt.
Hingegen gilt zu bedenken, dass die allermeisten wissenschaftlichen Bibliotheken keine an sich selbständige Einrichtung sind, die Inhalte, Gestalt und Kultur eigenmächtig bestimmen können. Bibliotheken können deshalb immer nur so weit individuell sein, soweit es ihre jeweilige Trägereinrichtung ist. Zudem entscheiden die Kunden, welche Produkte die Bibliothek bereit zu stellen hat; eine eigene „Selbstdarstellung“ der jeweiligen Bibliothek ist bestenfalls das Vermächtnis einer überkommenen Bibliotheksphilosophie.
Letztlich geht es bei einer Bibliothek um den Unternehmensbeitrag, den sie für die jeweilige Einrichtung leistet. Dabei darf eine Bibliothek durchaus kreativ sein und mutig und ungewöhnlich innovativ. Sie wird sich dann zwangsläufig unterscheiden von anderen Bibliotheken und keineswegs mit Standardportfolio und Einheitsprodukten untergehen in einem gesichtslosen Einerlei.
Am Ende geht es schliesslich um jenen Mehrwert, den die Bibliothek stiftet zum Nutzen ihrer Kundeninnen und Kunden und Sinne der Trägereinrichtung und nicht um eine wie immer geartetes Eigenleben.
Die Angst vor einer „McDonaldisierung“ der wissenschaftlichen Bibliotheken ist deshalb unbegründet. Denn nicht die Bibliothek schafft das einzigartige Erlebnis und den individuellen Genuss, sondern die Angebote und Inhalte, die sie bereitstellt.
Herzlich
Ihr Rafael Ball