Kennen Sie Open Investing?
Nein? Dann schauen wir uns genauer an, was wissenschaftliche Bibliotheken zunehmend als ihre Aufgabe betrachten. Die Zeiten, in denen das Literaturbudget regelmäßig und wie selbstverständlich in den Taschen der oder kleinen kommerziellen Verlage landete, scheinen vorbei. Open Investing ist die Abkehr der Finanzierung kommerzieller Geschäftspartner hin zur Finanzierung offener, non-commercial und not-for-profit-Initiativen und Aktivitäten rund um Bibliothek, Literatur, Information und Publikation. Wir haben dazu auch einen spannenden Beitrag ausgewertet (Open Investing in wissenschaftlichen Bibliotheken, Seite 5.
Sie finden Open Investing merkwürdig? Schauen wir uns genauer an, worin die eigentlichen Aufgaben wissenschaftlicher Bibliotheken in der Sicht der jeweiliger Trägerinstitution bestehen. Das ist primär die Versorgung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Literatur, Information und Publikationsunterstützung, plus die entsprechende Unterstützung der Studierenden. Dabei ist es der Bibliothek mit ihren Kompetenzen und der profunden Kenntnis der Markt- und Produktsituation überlassen, welche Anbieter sie für welche Inhalte aussucht. Die Inhalte und Aufgaben bestimmen die Trägerinstitution und deren Bedürfnisse in Wissenschaft, Forschung und Lehre. Erst die Irritationen und Eruptionen im Rahmen der Zeitschriftenkrise, in deren Gefolge die Open-Access-Bewegung entstand, führten zu Überlegungen, dass Bibliotheken ihren Literaturetat nicht mehr ausschließlich in die Taschen der kommerziellen Geschäftspartner fließen lassen, sondern darüber hinaus neue Initiativen unterstützen und mitfinanzieren sollten. Neu ist, dass sich heute vor dem Hintergrund der Transformation des Publikationssystems nicht nur die Literatur- und Informationsversorgung zugunsten einer Publikationsunterstützung verschiebt, sondern auch politisch-ideologische Rahmen und staatliche Vorgaben gesetzt werden.
Damit einher geht die gewünschte und bewusste Abwendung von kommerziellen Geschäftspartnern hin zur Unterstützung von non-commercial- und von grassroot-Initiativen, was als Open Investing bezeichnet wird.
Ob das immer sinnvoll ist, müsste in jedem Einzelfall entschieden werden. Sicher ist es die Aufgabe von Bibliotheks- und Informationseinrichtungen, die jeweils besten Lösungen für Wissenschaft, Forschung und Lehre bereitzustellen und dabei nicht auf vorhandene Strukturen und politisch motivierte Wünsche Rücksicht zu nehmen, sondern im besten Sinne preis-leistungsbewusst einzukaufen.
Niemand schränkt dabei die ausgesuchten Geschäftspartner ein, niemand macht Vorschriften, wo das Geld investiert werden soll. So war es zumindest bis vor einigen Jahren. Seitdem greifen politisch-normative Kräfte, wie Universitätsleitungen, Forschungsförderer, Wissenschaftsministerien und andere, ein und bestimmen zunehmend, wie die Literaturetats von Bibliotheken auszugeben sind.
In Bibliotheken fällt dieser Richtungswechsel auf fruchtbaren Boden. Nur zu gerne orientiert man sich an den politisch-ideologischen Vorgaben und investiert lieber in grassroot-Initiativen, anstatt sie den „kapitalistischen Großkonzernen der Publishing-Industrie“ in den Rachen zu werfen.
Tatsächlich hat niemand ein Interesse daran, Produkte und Services einzukaufen, die überteuert sind oder nutzlos oder das Ergebnis skrupelloser Ausnutzung von Monopolen. Dennoch muss genau hingeschaut werden, ob Open Investing tatsächlich auf die richtigen Produkte und Services abzielt und diese für die Universitäten bereitstellt, oder ob dies ein weniger von Bedarf und Ökonomie getriebenes Einkaufsverhalten ist, sondern eine sachfremden Motiven hinterlegte Verhaltensweise darstellt.
Eine professionell gemanagte Bibliothek wird immer die geeigneten, notwendigen, besten und preiswertesten Produkte und Services beziehen, unabhängig davon, ob sie von einem kommerziellen Partner angeboten oder von einer not-for-profit-Initiative bereitgestellt werden – zumindest so lange, wie politisch-normative Kräfte nicht einschreiten und übersteuern. Und man wird dereinst hoffentlich einmal eine Rechnung aufmachen, wie viele Gelder der öffentlichen Hand in Startups und Initiativen geflossen sind, die nach wenigen Jahren sang- und klanglos verschwunden sind, samt ihrer Produkte.
Vielleicht wird es dann einmal sinnvoll sein, zu überlegen, ob ein No-Deal auch gegenüber solchen Open-Investing-Aktivitäten nötig ist, statt das ausschließlich gegenüber großen kommerziellen Geschäftspartnern als Drohgebärde und Boykottmaßnahme einzusetzen.
Herzlich
Ihr Rafael Ball