Wer braucht ihn noch, den persönlichen Rat und die Ansprache am Ausleihschalter?
Das Postpaket holt man sich an der Packstation und gibt sein selbst frankiertes Päckchen dort ab. Auch komplexere technische Produkte mit Varianten werden mit Hilfe eines Chatbots online verkauft. Ein Telefonat mit dem Stromanbieter? Nur noch per E-Mail, Webformular oder Chatbot. Persönliche Beratung? Menschliche Ansprache? Fehlanzeige!
Nur in Bibliotheken steht die freundliche Bibliothekarin oder der hilfsbereite Bibliothekar noch hinter der Theke, bereit, um bestellte Literatur auszuleihen oder eine Information zu geben. Tatsächlich?
Nicht mehr lange, unken die einen, ein menschliches Antlitz brauchen wir gerade in Bibliotheken, sagen die anderen. Diese „anderen“ werden aber immer weniger.
Damit man nicht in den Vermutungen stecken bleibt, haben wir einen Beitrag analysiert, der herauszufinden versucht, wohin die Reise geht: „Von der Auskunftstheke zum Single- Service-Desk: aktuelle Servicemodelle in großen wissenschaftlichen Bibliotheken“, S. 11 in dieser Ausgabe.
Die Ergebnisse sind nicht eindeutig. Einerseits erwartet gerade die jüngere Nutzerschaft Selbstbedienung, digitale Tools und technische „Spielereien“, andererseits schätzt man bei komplexeren Themen die intellektuelle Ansprache. Auskunft und Ausleihe sind zwei klassische Dienstleistungen, die seit Jahrzehnten das Bild der Bibliothek prägen. Doch wie geht es weiter? Eine Patentlösung gibt es nicht. Zu unterschiedlich sind die Strukturen, die Nutzergruppen und die Erwartungen. Eines ist aber klar: „weiter wie bisher“ funktioniert nicht. Selbstverbuchung, Chat-Auskunft, digitale Services und persönliche Beratung werden künftig parallel existieren – und Bibliotheken müssen flexibel reagieren und Schwerpunkte setzen – ganz nach dem Gusto ihrer Nutzerschaft.
In gleich drei Beiträgen beleuchten wir Chancen und Grenzen von KI in Bibliotheken und haben spannende Ergebnisse.
KI-Kompetenzen und bibliothekarisches Know-how sind keine Gegensätze, sondern sie gehören zusammen. Besonders erfolgreich sind Bibliotheken, wenn sie beide Kompetenzfelder zusammenbringen und ihre Stärken in Strukturierung, Vermittlung und Kontextualisierung mit in neue KI-Möglichkeiten integrieren. Das ist für viele beruhigend, zeigt aber auch, dass in Bibliotheken reine KI-Spezialisten genau so wenig weiterhelfen wie reine IT-Fachleute. Der Erfolg liegt auch hier in der Kombination beider Expertisenwelten. Schwierig ist es allenfalls, diese Kompetenzen auf hohem Niveau auch auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Aber Bibliotheken waren schon immer der „bunte Hund“ in der Arbeitswelt und vielfach nur dann innovativ und erfolgreich, wenn sie sich mit Fachleuten gemischter Expertisen ausgestattet haben.
Ein anderer Beitrag beleuchtet den Einsatz von KI bei der Recherche: Hier ist der Einsatz nicht ohne Risiken. Wer Kataloge oder Datenbanken über KI-Interfaces befragt, bekommt nicht immer die richtigen Antworten. Politisch oder gesellschaftlich sensible Themen, etwa das Stichwort „Gaza“ oder „Sexualität“, führen bisweilen zu unvollständigen oder verzerrten Ergebnissen, je nach „politischer“ Programmierung der KI. Das zeigt: Bibliothekarische Kontrolle, Qualitätssicherung und Kontextualisierung bleiben unverzichtbar.
Diese Diskussionen spiegeln ein größeres Muster: Bibliotheken stehen an der Schnittstelle zwischen Tradition und Transformation. Einerseits bewahren sie Bestände, sichern Wissen und stehen für Verlässlichkeit. Andererseits müssen sie experimentieren, neue Technologien adaptieren und Leser kritisch begleiten. KI ist kein Ersatz für bibliothekarisches Fachwissen, sondern ein Werkzeug – und nur in Kombination mit bibliothekarischer Kompetenz wird daraus ein Mehrwert.
Auch mit dieser Ausgabe möchten wir Impulse geben. Die Frankfurter Buchmesse bietet dafür einen idealen Rahmen. Sie ist mehr als ein Schaufenster für neue Titel. Sie ist ein Barometer für Trends, Debatten und die Fragen, die uns in den kommenden Monaten begleiten werden. Bibliotheken gehören mitten hinein in diese Diskussionen – schließlich geht es auch um ihre Rolle in einem sich rasant verändernden Umfeld.
Herzlich
Ihr Rafael Ball

