Die gesunde Mitte
Sie werden zunehmend wichtiger und ihre Kenntnis ist von großer Bedeutung. Trotzdem werden sie kontinuierlich umgangen, sei es bewusst als klarer Rechtsbruch oder gar als Betrug, oder sie werden nicht beachtet infolge von Missverständnissen, Unkenntnis oder Ignoranz. Es geht um ethische Prinzipien in der Wissenschaft und hier vor allem in der Wissenschaftskommunikation.
Noch vor 20 Jahren war das Thema eher ein Randphänomen. Klar ist auch: Betrug und Gaunerei sind so alt wie die Menschheit, sie gab und gibt es schon so lange Wissenschaft besteht und Wissenschaft kommuniziert. Aber in der Zeit analoger Kommunikation war es weitaus schwieriger, bewusst zu täuschen und zu tricksen. Mit Digitalisierung, aufkommender Massenkommunikation und Künstlicher Intelligenz wird das Publizieren nicht nur jenen Forscherinnen und Forschern leichter gemacht, die ihre Erkenntnisse ehrlich und verantwortungsbewusst veröffentlichen, sondern auch all jenen, die auf die schnellen Impact hoffen, mal eben ein Forschungsergebnis „zurechtrückenˮ, damit es in die Hypothese passt, die gerne viel und oft publizieren (oder publizieren müssen) und es dabei mit der Wahrheit nicht so genau nehmen (können).
Aber neben diesen individuellen Vergehen stehen zunehmend strukturelle und institutionelle Probleme, die sich nicht nur auf die Qualität der Veröffentlichungen, sondern auch auf die Integrität der Inhalte und Veröffentlichungsformate auswirken. Der enorme Druck auf junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die Entwicklung ihrer Karrieren impactstark publizieren zu müssen, eröffnet auch auf der Seite der Verlage eine Spielwiese, diesen Bedarf mit einem nur geringen oder gar keinem Berufsethos zu befriedigen. Dabei werden Qualitätskontrollen auch schon einmal etwas lasch gehandhabt oder ganz ausgelassen, die Kommunikation zwischen Herausgeber und potenziellen Autoren für überflüssig gehalten und thematisch nicht ganz so genau hingeschaut. Der Grund ist nicht nur der große Publikationsdruck auf die Wissenschaft, sondern auch die Möglichkeit, mit der Veröffentlichung jedes einzelnen Artikels Geld zu verdienen – Open Access sei Dank. Denn seit die Zahlungsströme im Publikationssystem auf dem Kopf stehen und nicht mehr die Käufer des Produkts, sondern die Lieferanten des Rohstoffs bezahlen, entstand ein enormer Anreiz, durch die Veröffentlichung von Artikeln Geld zu verdienen. Tritt dieser Anreiz auf ein Überangebot auf Autorenseite, braucht sich niemanden zu wundern, dass es findige (und windige) Geschäftemacher gibt, die mit einer Vielzahl von Journalen und Zeitschriftenartikeln einen schnellen Reibach machen wollen (und auch machen). Predatory Journals sind nur eine Ausprägung dieser Entwicklung, viel komplizierter sind die vielen Graubereiche, die irgendwo zwischen „schlampig gemacht, ungeprüft, betrugsnah oder einfach nur schlechte Qualität und Massenwareˮ angesiedelt sind.
Wissenschaft wie Bibliotheken sind hier aufgefordert, das Thema Massenpublikation, Qualität, Integrität und die Frage ethischer Prinzipien beim Publizieren weitaus stärker in den Fokus zu nehmen, als es bislang der Fall ist. Es ist ein Fehler, sich in der Open-Access-Debatte nur auf die Predatory Verlage zu stürzen oder auf der anderen Seite die internationalen Publisher anzuprangern: Wie so oft im Leben braucht es die gesunde Mitte, nur sie ist stabil, verlässlich und auf Dauer die bessere Partnerin. Dazu gehören die vielen kleineren und mittelgroßen Verlage, die ihr Geschäft noch ernst nehmen, die Autoren betreuen und die es sich gar nicht erlauben können, schlechte Publikationen zu veröffentlichen, nur um den schnellen Euro oder Dollar zu machen oder ihr Massenportfolio zu füllen.
Auch in der vorliegenden Ausgabe der Library Essentials finden Sie einen einschlägigen Beitrag zum Thema ab Seite 5
Herzlich
Ihr Rafael Ball