Editorial 10-2020/01-2021
Datum: 1. Februar 2021
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Wikipedia wird 20 Jahre alt

Wer hätte das gedacht: Die Online Enzyklopädie Wikipedia ist in diesem Jahr 20 Jahre alt geworden. Das ist für ein Internet-Projekt oder Online-Produkt ein respektables Alter. Nicht viele solcher Non-Profit-Projekte überleben eine solche Zeitspanne. Und Wikipedia hat sie nicht nur überlebt, sie ist in diesen 20 Jahren von einem Internet-Baby zu einem respektierten jungen Erwachsenen der Internetinformation herangewachsen. Mit eigener Meinung, stabiler Positionierung und größten Nutzungszahlen inmitten all der vielen kurzlebigen „Internet-Projektchenˮ und Initiativen, die kaum das Kindesalter, geschweige denn das Erwachsenenalter erreichen, und zudem umgeben von einer Konkurrenz finanzstarker Internet-Profit-Unternehmen, die den Non-Profit-Akteuren das Leben schwermachen, die Kunden abwerben, deren Daten nutzen und nebenbei mal eben Milliarden verdienen.
Das verdient Respekt. Wikipedia und seine Wikipedianer haben all jene Lügen gestraft, die schon immer wussten, dass ein solches Online Lexikon keine ausreichende Qualität bietet, ungeprüfte Inhalte verbreitet und ohnehin nicht nachhaltig sein kann. Sie ist damit das beste Beispiel, wie mit einer Kombination aus Idealismus und Durchhaltevermögen auch und gerade das freie Internet zu einer leistungsfähigen Plattform für gute Informationsprodukte jenseits von Katzenbildchen und Werbebannern werden kann.
Dass das Internet frei sein soll, war ohnehin die Idee seiner Gründer – auch wenn heute der Kommerz dominiert, selbst bei scheinbar kostenlosen Diensten wie Google oder den sozialen Medien. Die freie Kommunikation ist nämlich gar nicht so frei, wie es scheinen will. Für alle diese Dienste muss irgendwo eine teure und gigantische Technikmaschinerie im Hintergrund am Laufen gehalten werden, die viel kostet und keineswegs umsonst zu haben ist. Mit ihren wertvollen persönlichen Daten zahlen die Nutzer diese Infrastruktur (und die großen Gewinne der Unternehmen).
Die sozialen Medien und ihre Betreiber-Unternehmen sind eben auch Medienhäuser, für die die Spielregeln der Medienfreiheit und -verantwortung gelten sollten. Längst wird darum gestritten, wenn auch noch nicht ausreichend agiert wird. Die Diskussion über die Verantwortung Sozialer Medien ist jüngst in der Abschaltung des Twitteraccounts des ehemaligen Präsidenten der USA, Donald Trump, kumuliert. Sie sollte mit dem Ausschluss einzelner Personen aber nicht beendet sein, sondern erst beginnen. Dabei müssen Leitfragen der Neutralität, der Freiheit des Wortes und der Grenzen über Verbreitung von Falschmeldungen und Unwahrheiten diskutiert werden. Die Diskussion darüber ob es richtig ist, einzelne Accounts prominenter Persönlichkeiten mit Breitenwirkung, die Fake News verbreiten zu löschen, ist nur eine Facette, verbreiten doch Millionen anderer namenloser Accounts ähnlichen Unsinn oder gar noch schlimmere Inhalte. Ob Twitter der Demokratie einen Gefallen getan hat, den Account von Trump einfach abzuschalten, muss bei allem Verständnis thematisiert werden.
Hier braucht es dringend einen gesetzlich oder gesellschaftlich verhandelten Rahmen, wie Profit und Non-Profit-Organisationen mit der Freiheit des Internet umgehen dürfen, sind doch die Meinungsäußerungen im Netz nichts anderes als die Inhalte klassischer Medien, wenn auch mit größerer Reichweite und Instant-Effekt. Hier wie dort gelten (in demokratischen Gesellschaften) Regeln, die der Freiheit des Wortes, aber auch dem Schutz vor Verleumdung und übler Nachrede dienen müssen.

Wir haben in der vorliegenden Ausgabe der Library Essentials mehrere Beiträge rund um diese Themen versammelt. Sie eignen sich bestens als Einstieg in ein spannendes Jahr, dessen Ausgang wir alle noch nicht vorhersehen können. Trotzdem und gerade deswegen: Alles Gute für 2021,
herzlich,

Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.