Editorial 10-2017
Datum: 9. Januar 2018
Autor: Erwin König
Kategorien: Editorial

Warum Büchereien (nicht) schwächeln

Ende letzten Jahres brachte die FAZ ziemlich unbemerkt in der rechten unteren Ecke des Feuilletons die folgende kurze Meldung: „Britische Büchereien schwächeln“. Darin hieß es lapidar, dass sich der Niedergang britischer Bibliotheken fortsetze, die Ausgaben in den letzten zehn Jahren von 86 auf nunmehr 36 Millionen geschrumpft und allein im Jahr 2016 mehr als einhundert öffentliche Bibliotheken geschlossen worden seien. Immerhin, der Herausgeber der Public Library News, Ian Anstice, bezeichnete diese Zahlen als ein „Desaster“. Dass dies aber einer Traditionszeitung wie der FAZ so völlig egal zu sein scheint und ihr keinerlei Debatte oder zumindest eines Kommentars wert war, verwundert umso mehr, als sie seit langem selbst konservativsten Publizisten wie dem Heidelberger Roland Reuss, der die Open-Access-Bewegung in der Wissenschaft nicht nur zum Teufel wünscht, sondern ihre Befürworter, egal ob Wissenschaftler oder Bibliothekare, gleichsam in der Hölle schmoren lassen möchte, ein regelmäßiges Forum bietet. Womöglich – und das drängt sich auf – vertreten das Blatt und seine ausgesuchten Gastschreiber aber auch einfach nur die Verlegerseite und nicht wirklich das Interesse von Bibliotheken.

Nun, die publizistische Bewertung der Meldung ist das eine, die tragische Tatsache des Bibliothekssterbens in Großbritannien das andere. Hintergrund solcher Ereignisse ist nicht selten ein Henne-Ei-Problem. Wenn Entscheidungsträger die Nutzungszahlen von kulturellen Einrichtungen als Beweis dafür anführen, dass kein Bedarf mehr an ihnen bestünde, muss man genau hinsehen. Denn oft (wenn auch nicht immer) führen gerade die Sparmaßnahmen zu großen Einschränkungen des Services, der Angebote und auch einfach des Marketing. Die Folgen liegen auf der Hand: Die Bürger kommen immer seltener in die Bibliothek, denn deren Angebote sind ausgedünnt, der Service schlechter, die Öffnungszeiten kürzer, die Innovationen weniger, und ohnehin ist von der Bibliothek immer weniger zu hören. Ein Teufelskreis beginnt und im Ergebnis kann der Unterhaltsträger die Einrichtung mit dem guten Argument schließen, sie werde wohl nicht mehr gebraucht.

Dabei gibt es auch im Jahr 2018 ein ganzes Bündel guter Argumente für öffentliche wie wissenschaftliche Bibliotheken: Einige davon haben wir in unseren Library Essentials in dieser Ausgabe zusammengetragen. So müssen E-Books besser werden, damit sie mehr Leser finden und die Bequemlichkeit der Printbücher erreichen. Gleichzeitig müssen sie ihre technische Überlegenheit ausspielen dürfen, angefangen von Datenverlinkung, Markieren, Teilen usw. DRM-Systeme, die das verhindern, schaden dem E-Book. Bibliotheken aber können beides zur Verfügung stellen, sie sind das ideale Testbett für die Nutzer wie für die Hersteller. Auch gedruckte Bücher gehören in die Bibliotheken; gerade Jugendliche leihen sich Bücher gern einmal untereinander aus. Aber auch technologische Neuerungen, die uns 2018 beschäftigen werden, müssen in die Bibliotheken. Virtuelle und erweiterte Realität kann den Sprung schaffen vom Spiel zur praktischen Anwendung. Wenn nicht in öffentlichen Bibliotheken, wo sonst kann der (junge) Bürger eine vergleichsweise aufwendige und teure Technologie ausprobieren? Augmented Reality wird vor allem wissenschaftlichen Bibliotheken, Archiven und Museen helfen können, ihre komplexen Produkte, Sammlungen und Angebote zu vermitteln. Auch hier sind (spielerische) Testanwendungen genau an der richtigen Stelle.

Bibliotheken vermitteln Inhalte und Medien genauso wie den Spaß an neuer Technik und neuen Methoden. Und dafür muss man sie öffnen und nicht schließen. Dafür muss man sie finanzieren und nicht zu Tode sparen. Und dafür würde sich auch ein Engagement der FAZ lohnen.

Sie sehen, geschätzte Leserinnen und Leser, es gibt nicht nur gute Argumente für Bibliotheken, sondern auch viele Aufgaben, die im neuen Jahr auf uns warten: Packen wir sie gemeinsam an.

Im Namen des gesamten Redaktionsteams von Library Essentials wünsche ich Ihnen ein gutes und erfolgreiches Jahr 2018!

Herzlich

Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.