Editorial 7-2022
Datum: 11. Oktober 2022
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Aus Informationskompetenz wird Digital Literacy

Die Vermittlung von Informationskompetenz ist noch immer auf dem Schirm, wenn es um Zukunftsdienstleistungen von Bibliotheken geht. Dabei ist das Thema so alt wie die Digitalisierung in Bibliotheken selbst. Denn vor der Digitalisierung der Medien, Inhalte und Prozesse in Bibliotheken war Informationskompetenz bestenfalls ein theoretisches Konstrukt. Erst als Bibliotheken ihre Monopolstellung in Gefahr sahen, meinten viele Bibliothekarinnen und Bibliothekare mit dem Thema Informationskompetenz wegbrechende Bereiche gut kompensieren zu können. Denn es reichte nun scheinbar nicht mehr, lesen und schreiben zu können, um eine Bibliothek sinnvoll nutzen zu können, sondern es waren stets ein paar Kurse in Informationskompetenz zu belegen. So zumindest in der Wahrnehmung vieler Informationskompetenzler. Dicke Bücher entstanden, in denen umständlich erklärt wurde, was denn Informationskompetenz sei, wie man sie zu vermitteln habe und als neue wichtige Dienstleistung implementieren solle. Es hatte fast den Anschein, dass es fürderhin in Bibliotheken weniger auf die Inhalte ankam als auf deren Vermittlung. Inzwischen ist der Hype vorbei, es hat sich längst gezeigt, dass das Finden von Informationen nicht mehr das Problem der Bibliotheksnutzer ist, sondern deren Bewertung, Einordnung und eben auch die technische Zusammenführung unterschiedlichster Quellen.
So ist heute aus der Informationskompetenz die Digital Literacy geworden, die damit viel weiter greift als die gute alte Informationskompetenz.

In den Hochschulen muss das Thema ohnehin breiter gesehen werden. Studien zeigen, dass es weniger die einzelnen Kurse von Bibliotheken sind, die den Studierenden anwendbare Hilfe bieten, sondern dass Digital Literacy erst als integraler Bestandteil der Curricula wirksam wird. Nach wie vor aber ist die Empfehlung der Dozenten zu entsprechenden Informationsmittel ein starker Anreiz sich mit den Bibliotheksinhalten auseinanderzusetzen.

Heute gibt es immer mehr Menschen, die digitale Geräte intensiv nutzen, ohne sie produktiv für die Erledigung ihrer Alltagsgeschäfte einsetzen zu können. Mehr noch: Zunehmend klafft eine Lücke zwischen der gefühlten Allgegenwärtigkeit digitaler Geräte und der informationellen Daseinsvorsorge, die im Englischen mit dem Begriff Every Day Life Information Literacy beschrieben wird. Dabei geht es dann um beides: die richtigen und sinnvollen Inhalte auf der einen und die Umsetzung in der digitalen Gerätschaft auf der anderen Seite. Hier entsteht zunehmend Handlungsbedarf, damit nicht ein großer Teil der Gerätenutzer zum Spielball der Gaming- und Kommerzindustrie wird und gleichzeitig unfähig bleibt, produktive Dinge und Alltagserledigungen mit ihren teuren Smartphones und Notebooks zu leisten.

Auch hier ist der Einsatz von Öffentlichen wie Wissenschaftlichen Bibliotheken gefragt.

Herzlich
Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.