Liebe Leserinnen und liebe Leser,
der Verbraucherschutz feiert einen neuen Sieg in Europa. Nach vier Jahren hat die EU neue Regeln für den Datenschutz verabschiedet. Im Kern sollten den Internetnutzern Rechte und Kontrolle über ihre Daten wieder zurückgegeben werden. Das klingt gut und so hat es der stellvertretender Vorsitzender des Innen- und Justizausschusses des EU-Parlaments und massgeblicher Motor der Verordnung, Jan Albrecht auch formuliert.
Doch der Sieg ist ein Phyrrussieg. Denn die EU verbaut sich mit dieser Regelung den Weg für den Wettbewerb mit den USA und schwächt damit die Wettbewerbsfähigkeit aller am Datengeschäft beteiligten Stakeholder in Europa. Und das sind nicht in erster Linie internationale Grossunternehmen wie Google oder Amazon, sondern viele kleine und mittelständige IT-Unternehmen und Start-ups, aber auch Universitäten, Wissenschaftsinstitute und NGOs. Sie alle könnten von der erweiterten Nutzung der Daten profitieren, die im Rahmen von Big Data Technologien eingesetzt werden könnten und Nutzen generieren.
Jan Albrecht ging es bei diesem Gesetz aber offensichtlich nicht um den Schutz der Bürger und die bestmögliche Lösung für die Nutzung von Daten im 21. Jahrhundert, sondern um die Umsetzung seiner eigenen engen Datenschutzlogik. Im vergangenen Jahr hat er dies in einem kleinen Büchlein so formuliert:
„Aus dem Big Data der eigenen Person ergibt sich zwangsläufig eine Optimierungslogik. Denn hat man erst einmal die Datengrundlage geschaffen, werden bereits die ersten Verbesserungsfelder offensichtlich: gesünder leben, effizienter arbeiten, besser kochen, schneller einen Partner finden – die Möglichkeiten und das Potenzial zur Verbesserung der eigenen Person und Persönlichkeit sind angesichts der Möglichkeiten von Big Data endlich sichtbar und nahezu unbegrenzt“¹
Wer also Angst vor Big Data hat und ihre Anwendung prinzipiell als Horrorszenario an die Wand malt, wird per se keinen guten politischen Kompromiss finden wollen.
Gewiss, die Datenhoheit muss beim einzelnen Datenlieferanten bleiben, er oder sie muss zustimmen oder ablehnen können, ob mit den Daten etwas „angefangen“ werden kann oder nicht. Aber mit der neuen weitgehenden Datenschutzregelung der EU wird das Kind wieder einmal mit dem Bade ausgeschüttet. Und dieses Thema berührt Bibliotheken sicher mehr, als man es sich zunächst vorzustellen vermag. Schon sehr bald werden auch in Bibliotheken weitaus grössere Datenmengen verarbeitet werden müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Mehr noch: Auf dem Feld der Daten, ihrer Aggregation und Verknüpfung und der Schaffung wissenschaftsrelevanter Mehrwerte wird sich die Zukunft der Bibliotheken entscheiden, nicht bei den Sesseln der Bibliothekslounge, den 3-D-Druckern der Maker-Spaces oder in den unerträglich diskutierten Open Access-Details der Lizenzverträge.
Wenn die EU nun den Schutzrahmen für die Nutzung der Daten noch enger zieht, braucht sich niemand mehr zu wundern, dass sich in unserer internationalen, virtuell-grenzenlosen Welt die (Bibliotheks)Kunden dorthin wenden, wo sie die besten (Daten)Dienstleistungen bekommen. Und das wird nun nicht mehr die EU sein.
Herzlich Ihr Rafael Ball
¹Albrecht, Jan Phillipp: Finger weg von unseren Daten. Wie wir entmündigt und ausgenommen werden. Knaur, München 2014, S. 88