Editorial 07-2023
Datum: 14. Oktober 2023
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Die Bibliothek der Zukunft

Unter dem Einfluss vieler neuer Veränderungsmomente und diverser technologischer Treiber wird in den letzten zwei Jahrzehnten verstärkt die Frage der Bibliothek der Zukunft diskutiert.

Als großer Player in diesem Feld hat auch OCLC mit einer Studie herausfinden wollen, wie die Bibliothek der Zukunft neu zu denken sei (in dieser Ausgabe ab Seite 9).

Wer allein die Fragen des Fragebogens liest, erkennt allerdings schnell, dass hier nicht die Bibliothek wirklich neu gedacht werden soll, sondern eine Abfrage zu möglichen Entwicklungen der bisherigen Geschäftsfelder und ihrer Arbeitsschwerpunkte samt Prozessen gemeint war. Wer danach fragt, welche Medien Bibliotheken in 10 Jahren ausleihen werden und mit welchen Partnern Bibliotheken zukünftig zusammenarbeiten werden, hat nicht den Mut, nach einer grundsätzlichen Neuorientierung der Bibliothek als Institution zu fragen, sondern begnügt sich mit Hinweisen auf Entwicklungspotenzial und Optimierung des Bestehenden. Das ist schade und eine vergebene Chance, denn mit OCLC steht ein wichtiger Player im Feld, der das Bibliothekswesen durch sinnvolle Zentralisierung, Konzentration und Kooperation schon einmal erfolgreich verändert hat. Auch das Thema KI kam im Fragebogen und den Antworten praktisch nicht vor. Auch wenn der Terminus KI heute verstärkt als nichtssagendes Zauberwort auftritt, wird KI an vielen Stellen des Bibliothekswesens genannt und immer wieder als höchst relevant für die zukünftige Ausrichtung, Strategie und Funktion von Bibliotheken gesehen.

Dieses Thema ist deshalb in der vorliegenden Ausgabe mit weiteren einschlägigen Beiträgen und Analysen vertreten, etwa der Bericht über die Leitlinien im Umgang mit Künstlicher Intelligenz der UNESCO (ab Seite 13).

Bibliotheken werden nicht nur von Seiten ihrer internen Prozesse bei der Entwicklung von Services und Verfahren betroffen sein, sondern auch bei der Festlegung darin, wie mit jenen Inhalten umgegangen werden soll, die das Ergebnis von künstlicher Intelligenz sind.

Mit dieser hochaktuellen Technologie sind uralte Fragen verknüpft, was denn eine Veröffentlichung ist und wie sie definiert wird. Das war in Zeiten digitaler (sozialer) Medien und fluider Dokumente („Perpetual betaˮ) schon ein relevantes Thema und ist in Zeiten von künstlich erzeugten Inhalten durch KI noch viel drängender geworden.

Doch auch auf der Produktionsseite von wissenschaftlicher Literatur wird der Einsatz von KI noch immer mehr als zögerlich umgesetzt. Dabei gibt es, so zeigen wir in unserem Beitrag ab Seite 34, eine ganze Reihe sinnvoller Anwendungen im Verlagsbereich, auch abseits der Vermutung von simpler Textgenerierung durch KI.

Auf der kommenden Frankfurter Buchmesse, zu der ich Sie auch im Namen der Redaktion von Library Essentials herzlich einlade, besteht genug Gelegenheit, sich mit allen Stakeholdern zu diesen Themen und Fragen auszutauschen.

Herzlich
Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.