Mittendrin in der Transformation
Die Transformation des Publikationssystems ist in einer ganz besonderen Weise disruptiv und kann ohne Zweifel als Paradigmenwechsel in der Geschichte der Wissenschaftskommunikation bezeichnet werden. Es erstaunt allerdings immer wieder, dass diese grundlegenden Veränderungen, die zahlreiche Konsequenzen für Wissenschaft, Forschung, Hochschulen und Bibliotheken nach sich ziehen, noch nicht jedem bekannt und in das allgemeine Gedankengut eingegangen sind. Beiträge, die die Entwicklung der Open-Access-Bewegung darstellen und die die Verbindung zwischen der auslösenden Zeitschriftenkrise in den 1990er Jahren und der aktuellen Transformationsphase herstellen, sind deshalb sowohl aus informationswissenschaftlicher als auch aus bibliothekspraktischer Sicht sehr zu begrüßen. Wir haben in der vorliegenden Ausgabe der Library Essentials einen Beitrag analysiert, der genau hier ansetzt und faktenbasiert zusammenträgt, wie sich der aktuelle Stand der Umsetzung von Open Access am Beispiel der Article Processing Charges (APCs) darstellt (Borrego, Ángel: „Article processing charges for open access journal publishing: A review”; in: Learned Publishing, 2023, Vol. 36, 359–378,).
Dabei wird deutlich, dass wir uns nach wie vor eher am Anfang als am Ende der Transformation des Publikationssystems befinden. Haben zwar viele Verlage ihre Publikationsmodelle angepasst und bieten sie auch Open Access Veröffentlichung etwa nach dem goldenen Weg an, so gibt es dennoch eine Vielzahl von Verlagen, die nur ein Hybridmodell im Programm haben oder aber (häufig kleine und mittelgroße Verlage) gar kein OA-Angebot vorweisen können. Bemerkenswert sind auch die Alternativmodelle des Open Access. Der Diamantweg, der immer wieder als „Königswegˮ oder Klimax der Open-Access-Bewegung beschrieben wird, fristet nach wie vor ein Schattendasein, wenn man die Zahl der veröffentlichen Open Access Artikel als Basis nimmt. Ein Großteil der OA-Artikel wird nach wie vor von kommerziellen Verlagen veröffentlicht, die sich über die APCs finanzieren. Weitere Alternativmodelle befinden sich noch immer eher im Projektstatus als in einer operativen Veröffentlichungsroutine. Der Weg der Transformation ist also noch ein weiter und erfordert Anstrengungen wie Innovations- und Kompromissbereitschaft von allen Stakeholdern im Prozess: Den Bibliotheken, der Wissenschaft und den Verlagen.
Der ausgewertete Beitrag zeigt ein weiteres wichtiges Ergebnis: Es gibt eine klare Korrelation zwischen dem Impactfaktor einer Zeitschrift und der Höhe der APCs. Das ist ein klares Indiz dafür, dass die Reputation von Zeitschriften, ihren Brands und den daraus folgenden Impactfaktoren für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach wie vor ein notwendiges und wichtiges Kriterium für die Auswahl der Publikationsorgane darstellt. Und wenn eine Zeitschrift bedeutsamer, wichtiger und einflussreicher ist, kann sie auch höhere Publikationsgebühren verlangen. Damit schließt sich zumindest der Kreis der Finanzströme und man ist wieder am Ausgangspunkt der Open-Access-Bewegung angekommen – freilich auf höherer Ebene und mit deutlichem Zugewinn für die Forschercommunity: Die APC-finanzierten Beiträge sind kostenlos zugänglich, auch wenn sie weiterhin von professionellen (kommerziellen) Verlagen verarbeitet werden. Damit ist die wesentliche Forderung der Open-Access-Bewegung allerdings erfüllt: der freie Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen. Und nur Träumer konnten zu Beginn der OA Bewegung davon ausgehen, dass der freie Zugang ganz ohne Kosten für die öffentliche Hand realisierbar ist.
Herzlich
Ihr Rafael Ball