Wir können alles. Außer Hochdeutsch.
Dieser nicht von allen Baden-Württembergern geschätzte Slogan steht seit langem auf der offiziellen Homepage des Landes Baden-Württemberg. Was wohl auf humoristische Weise die Vielseitigkeit und Leistungsfähigkeit des „Ländle“ demonstrieren soll, macht sich andererseits über den oft persistierenden Akzent vieler Landeskinder lustig.
Für Bibliotheks- und Informationsspezialisten stellt sich sicher weniger die Frage nach sprachlichen Dialekten, als vielmehr nach der Herausforderung, in einer Zeit der sich wandelnden Aufgaben nicht nur den Überblick zu behalten, sondern auch sinnvoll und glaubhaft feststellen zu müssen, was denn Bibliothekare alles können und sollen oder aber neu lernen müssen, damit sie den Fragen der Digitalität des 21. Jahrhunderts gewachsen sind. Dabei schwanken Bibliothekare zwischen Selbstüberschätzung und einem zu geringen Selbstbewusstsein.
Tatsächlich sind Informationsspezialisten seit Jahrzehnten Profis in der Verarbeitung und Analyse von Informationen und Daten, allerdings zunächst ausgehend von einer mehr oder weniger analogen oder teil-digitalen Welt. Wer erinnert sich nicht an die seit gefühlten 30 Jahren währende Diskussion, wie viel IT-Know-how Bibliothekare brauchen oder nicht? Obwohl diese Frage noch immer nicht abschließend beantwortet ist, überschlagen sich neue potenzielle Aufgabenfelder in und für Bibliotheken und erfordern nicht nur eine erneute Entscheidung, ob diese Aufgaben tatsächlich für Bibliotheken geeignet sind, sondern auch darüber, ob sie von Bibliothekarinnen und Bibliothekaren überhaupt geleistet werden können. Sollen Informationsspezialisten und Bibliothekare etwa Datenwissenschaftler werden oder nicht? Können sie das überhaupt und wenn ja, was müssen sie dann beherrschen? Oder sollte dieses Feld nicht lieber gleich den Mathematikern und Informatikern überlassen werden?
Die Einschätzung hierzu reicht dabei von „Neue Aufgaben – wunderbar, wir können alles, sogar Daten“ bis hin zur Entscheidung, dass dieses Feld doch besser den Mathematikern und Statistikern überlassen werden sollte. Damit bleibt es dann etwa an einer Universität bei den Wissenschaftlern selbst hängen oder es landet bei den zentralen IT-Diensten, deren Kernkompetenz aber auch nicht automatisch auf dem Gebiet der Datenwissenschaften liegt.
Dabei fällt diese Entscheidung in der Tat nicht leicht. Einerseits drängt sich das Geschäftsfeld der (Forschungs)Daten geradezu auf, sind (Forschungs)Daten doch die kommende Substanz wissenschaftlicher Erkenntnisse. Sie ergänzen nicht nur bereits jetzt oftmals eine Veröffentlichung, sondern werden künftig sicher auch immer öfter ohne formale Publikation als Ergebnis von wissenschaftlicher Arbeit veröffentlicht werden und sind damit per se Gegenstand bibliothekarischer Aufgaben.
Andererseits erfordert die Arbeit mit Daten, wenn man sie denn nicht nur als abgeschlossenes Paket annimmt und „nur“ mit Metadaten versieht, eine intensive mathematisch-statistische IT-Kompetenz, die Bibliothekare aktuell weder haben, noch einfach so nebenbei erwerben können.
Für die Analyse von Daten, ihrer Be- und Verarbeitung (Datenwissenschaftler) und ihrer Pflege (Data Curator) braucht es eben Kompetenzen, die in Bibliotheken nicht bereits automatisch vorhanden sind oder die mit niederschwelligem Aufwand erworben werden könnten.
In dieser Ausgabe lesen Sie gleich an mehreren Stellen zu diesem wichtigen Zukunftsthema.
Ob Business Developer, Data Analyst, Data Manager Application Developer oder Security Manager: Es ist erforderlich, dass sich Bibliotheken klar positionieren, ob und wie sie mit dem Thema „Daten“ umgehen wollen. Wenn sie sich des Themas professionell annehmen, dann sind Investitionen in entsprechend qualifiziertes Personal unabdingbar. Oder man wird verkünden müssen: „Wir können alles. Außer Daten.“
Herzlich
Ihr Rafael Ball