Editorial 8-2022
Datum: 3. Dezember 2022
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Open Science muss offen bleiben

„Open Scienceˮ ist derzeit eine Art Schlagwort, das für alle Gelegenheiten herhalten muss – ob es passt oder nicht. Meist allerdings passt es, denn unter Open Science wird in einer weiten Begriffsdefinition all das subsumiert, was mit Wissenschaft in digitaler Form zu tun hat. Und Wissenschaft ohne digitale Elemente ist kaum vorstellbar. Dabei reicht die Spannbreite von Open Science von der „Mitmachwissenschaftˮ im Sinne einer Citizen Science bis hin zum seit Jahrzehnten massiv formalisierten und institutionalisierten Open Access Publikationssystem, dessen Bedeutung weiter zunimmt und längst aus dem Stadium des Experimentellen von Open Science herausgetreten ist (Pollock, Dan; Michael, Ann: „News & Views: Open Access Market Sizing Update 2022”, S 24).

Dass Open Science bei der Umsetzung und Konkretisierung in der Wissenschaft längst kein Selbstläufer ist, zeigen zwei Beiträge in dieser Ausgabe. Im „State of Open Data Reportˮ (Digital Science (Hrsg.); Goodey, Gregory; Hahnel, Mark; Zhou, Yuanchun; Jiang, Lulu; Chandramouliswaran, Ishwar et al.: „The State of Open Data 2022”, S. 17) werden die Erfolgsfaktoren für die Nutzung (und Nachnutzung) von Open Data ausbuchstabiert. Es zeigt sich, dass es noch immer Vorhalte gegen die Archivierung und Nachnutzung vorhandener Forschungsdaten gibt: Während das Teilen der Daten den allermeisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein Anliegen ist, haben mehr als fünfzig Prozent Bedenken wegen Datenmissbrauchs und Verfälschung. Man darf diese Bedenken nicht geringschätzen, sie sind ernst zu nehmen und vor allem muss ihnen mit Lösungsideen und Angeboten begegnet werden, nicht mit weiteren normativen Vorgaben, wie sie aktuell das Wissenschaftsmanagement der meisten Forschungsförderer kennzeichnen. Denn dann verkehrt sich die Grundidee der Offenheit schnell in ein formales Bürokratiemonster.

Ganz ähnlich mahnte auch der Rat für Informationsinfrastrukturen (RfII) kürzlich in seinem Fachbericht (Rat für Informationsinfrastrukturen (Hrsg.): „Datenpolitik, Open Science und Dateninfrastrukturen: Aktuelle Entwicklungen im europäischen Raum“; Bericht und Empfehlungen, S. 30) die Einbindung der Nutzerinnen und Nutzer, den leichten Zugang zu den Systemen und positive Anreize statt normativer Vorgaben und Bestimmungen bei der Umsetzung von Open Science Angeboten an.

Um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für Open Science in all seinen Ausprägungen zu begeistern, braucht es keine formalen Vorgaben, Richtlinien, Checklisten und Umsetzungshefte. Wie jüngst die Eröffnung des Open Science Lab an der SLUB Dresden im November 2022 gezeigt hat, genügen dafür offene Räume, Mut und Begeisterung der Bibliothekarinnen und Bibliothekare und ein „Open Mindˮ: Denn mit diesem Mindset bleiben auch Umsetzung und Konkretisierung von Open Science „offenˮ und sind Teil eines großen Experiments in und für die Wissenschaft. Im Praxistest selbst wird sich dann zeigen, welche Elemente von Open Science bleiben werden und welche wieder verschwinden.

Herzlich
Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.