Editorial 8-2017
Datum: 13. November 2017
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Vierundsechzig (64): Magische Zahlen für magische Zeiten

Die neue Zahl heißt „Vierundsechzig“. Dabei handelt es sich weder um eine neue Diskussion zum Rentenalter in Deutschland noch um das Thema „Fit im Alter“. Vielmehr ist diese Zahl eine geradezu magische Zahl für das Informationsmanagement in wissenschaftlichen Einrichtungen und Hochschulen.

Denn nach einer neuen Studie, die wir in dieser Ausgabe ab Seite 5 referieren, investieren deutsche Universitätsbibliotheken 64 % ihres Erwerbungsetats in elektronische Medien. Diese Zahl macht deutlich (und diese Feststellung ist schon fast eine Banalität), dass im wissenschaftlichen Umfeld (anders als im Bereich der Belletristik etwa) die elektronischen Medien weiter auf dem Vormarsch sind. Sie zeigt aber auch konkret, dass fast zwei Drittel der Erwerbungsmittel für elektronische Ressourcen aufgewendet werden, was schon ein sehr hoher Anteil ist. Aber auch diese Behauptung wäre an sich noch keine Meldung wert; was ist schon Besonderes daran, wenn sich die Investitionsprofile hin zur elektronischen Informationsversorgung verschieben?

Allein ein kleiner Blick auf die Prozesse und die Arbeitsverteilung in vielen wissenschaftlichen Bibliotheken macht aber die Dramatik (und damit die Konsequenzen) dieser Prozentzahl deutlich. Wie die Studie im Detail zeigt, setzen sich die Kosten für den Erwerb von elektronischen Ressourcen aus verschiedenen Bestandteilen wie Auswahl, Verhandlungen, Vertragsabschluss, Freischaltung etc. zusammen.

Es macht dabei in der Summe sehr nachdenklich, dass für Erwerb, Katalogisierung und Bereitstellung der teuren elektronischen Ressourcen im Mittel deutlich weniger Aufwand zu betreiben ist als für den (aufwändigen) Einzelerwerb von gedruckten Materialien. Insbesondere der Bezug von ganzen Verlags-Paketen ermöglicht (oder erfordert) es, mit minimalem Aufwand viel Geld auszugeben. Je höher nun der Anteil der elektronischen Ressourcen am Gesamtetat einer Universitätsbibliothek ist, desto offensichtlicher wird es, in welchem Missverhältnis der Aufwand für Auswahl, Beschaffung, Erschließung, Bereitstellung und Archivierung einzelner (gedruckter) Werke zum Processing der digitalen Gesamtpakete steht. Oder anders formuliert: Dieser Aufwand an Personal, Gebäude, Technik und Logistik steht im umgekehrten Verhältnis zur gewonnenen Informationsmenge.

Dieses Verhältnis wird sich noch einmal deutlich verschlechtern, wenn die aktuell betriebene Transformation des Publikationssystems realisiert sein wird. Dann entfällt der komplette Aufwand für Auswahl, Beschaffung und Vermittlung der nun freien digitalen Open-Access-Inhalte. Dann aber besteht die Gefahr, dass sich Bibliotheken samt Personal an den verbleibenden Printmedien festklammern, um daraus eine Restlegitimation für eine ganze Branche abzuleiten.

Es wird also Zeit, echte Alternativen zu schaffen und auch massiv in diese zu investieren, anstatt veraltete Geschäftsmodelle zu perpetuieren. Denn die magische Zahl „64“ wird nicht die einzige Kennzahl bleiben, die uns auf die Notwendigkeit für einen radikalen Changeprozess hinweist.

Herzlich

Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.