Editorial 7-2021
Datum: 15. Oktober 2021
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Künstliche Intelligenz (KI) in Texten und Bibliotheken

Der Begriff Künstliche Intelligenz (KI) ist derzeit in aller Munde. Gewiss, bereits in den 1970-er Jahren gab es Ansätze und (theoretische) Versuche, menschliche Intelligenz zu kopieren oder gar zu übertrumpfen. Diese Ansätze mussten damals noch Träume bleiben und sie sind aufgrund der zu geringen Rechnerkapazitäten dieser frühen Computerjahre im Wesentlichen sang- und klanglos beerdigt worden. Seit den späten 1990-er Jahren jedoch und mit noch größerem Move seit der Jahrtausendwende ist das Thema Künstliche Intelligenz wieder in Mode gekommen und geradezu zu einem Buzz-Wort geworden. Die verfügbaren Rechnerkapazitäten erlauben einerseits tatsächlich die erforderlichen millionenfachen Rechneroperationen in kürzester Zeit, während andererseits bereits eine ganze Reihe von praktischen Anwendungen für jedermann, etwa automatische Übersetzungsprogramme oder Diktiersoftware, KI für ihre Leistungen einsetzen. Zunehmend ist KI auch auf dem Schirm der Strategien von Bibliotheken aufgetaucht. In dem Maße, wie Bibliotheken von einer Informations- zu einer datengetriebenen Organisation geworden sind, ist auch die Aufbereitung, Verarbeitung, Anwendung und Weiternutzung dieser Daten ein Thema für KI-Systeme. Dabei müssen sich Bibliotheken nicht verstecken: Viele ihrer Dienstleistungen, Angebote und Projekte sind bereits KI-Anwendungen, auch wenn Bibliothekarinnen und Bibliothekare damit nicht schwärmerisch ,hausieren’ gehen. Text- und Datamining, automatische Texterkennung oder automatisierte Verlinkung von Metadaten mit frei verfügbaren Informationen (linked open data) sind je nach Ausprägung durchaus ernst zu nehmende KI-Anwendungen. Gleichzeitig muss eine Bibliothek aber immer auch die qualitativen Dinge im Auge behalten, denn reines Korrelationen bei der Ergebnisermittlung mag zwar in der Summe des Durchschnitts ein gutes Ergebnis erzielen, oft aber braucht es gerade bei der Suche nach gezielten Informationen nicht ein korrelatives Durchschnittsergebnis, sondern genau diese oder jene Quelle. Deshalb gehören qualitative wie quantitative Verfahren bei der Entwicklung von Diensten in Bibliotheken genauso zusammen wie menschliche und künstliche Intelligenz.

Eine ganz andere Anwendung von Künstlicher Intelligenz könnte Bibliotheken ebenso beschäftigen: Zunehmend werden Bücher von KI-Systemen geschrieben und veröffentlicht. Erste Ansätze existieren seit einigen Jahren und werden bereits als spezielle Serien und Buchreihen in renommierten Verlagen publiziert. Wie Bibliotheken künftig mit derlei automatisiert geschaffenen Werken umgehen und ob diese mit den Kategorien von Autor und Herausgeber noch ausreichend beschrieben werden können, darf bezweifelt werden. Aber dafür werden Bibliothekarinnen und Bibliothekare Lösungen finden; die eigentliche Frage jedoch bleibt: Wollen wir solche Werke wirklich lesen und intellektuell durchdringen oder lassen wir maschinengenerierte Texte besser von Maschinen auswerten? Damit wäre dann endgültig die menschliche Intelligenz aus dem Spiel genommen, wenn Computer für Computer schreiben. Ob es dann noch für einen Verlag attraktiv ist, Bücher durch Maschinen schreiben zu lassen, und für Bibliotheken, diese Werke für die Nachwelt zu erhalten, darf bezweifelt werden.

Wir haben in der vorliegenden Ausgabe der Library Essentials zum Thema Künstliche Intelligenz zwei Beiträge aufgenommen, die ich sehr zur Lektüre empfehle. Sie sind ganz bestimmt von Menschen geschrieben und durchdacht.

Herzlich
Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.