Editorial 6-2021
Datum: 31. August 2021
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Die Roboter kommen?
Nein, sie sind schon da und schreiben unsere Bücher

Wir sind nicht nur daran gewöhnt, sondern setzen es als selbstverständlich voraus, dass Texte, die wir lesen, von Menschen erdacht, durchdacht, geschrieben und redigiert werden. Dies nehmen wir sowohl bei belletristischen, fachlichen und wissenschaftlichen Texten an. Seit 2000 Jahren liegt das zumindest unserer Vorstellung zugrunde, ist doch die schriftliche Form der Kommunikation und der Vermittlung von Inhalten – sei es als Buch oder in jeder anderen Textform – nichts anderes als die Explikation menschlicher Gedanken und Ideen.

Doch nun gibt es seit einigen Jahren zunehmend Texte, deren Herkunft nicht mehr auf der Basis menschlichen Intellekts und seiner Ausdruckskraft beruht, sondern die das Produkt von Maschinen sind, die diese Texte formulieren und erstellen. So werden schon lange Wettervorhersagen und Wirtschaftsinformationen durch Roboter generiert, denen man die Basisdaten von Wetterprognosen oder Börsenkursen zur Verfügung stellt und die mit einem (beschränkten) Wortschatz aus diesen Daten menschenlesbare Texte liefern. Das regt kaum jemanden auf, denn solange es sich um recht emotionslose oder sprachlich wenig wichtige Texte wie Wetter-oder Börsenberichte handelt, können wir die Form der Maschinentexte noch gut akzeptieren, sind es ja bloß in Worte gefasste sachliche Daten für den kurzfristigen Informationsbedarf.

Anders sieht es aus, wenn wir an schöpferische Texte denken. Denn längst gibt es auch in der Belletristik Versuche, Prosa und Gedichte maschinengeneriert zu produzieren, wenn auch noch mit zweifelhaftem Erfolg.

Zunehmend neu sind nun automatisch generierte Texte in der Wissenschaft, einer Domäne, die die Mehrheit der Menschen noch immer mit kognitiver, höchst menschlicher Leistung zur Gewinnung von Erkenntnis­sen in Verbindung bringt. Von namhaften Verlagen, etwa SpringerNature, werden nun die ersten Serien von „Automatenbüchern“ publiziert, der Verlag nennt das ein „maschinengeneriertes und KI-basiertes Buchprogrammˮ. Was soll man davon halten, wenn Schreibroboter wissenschaftliche Daten in Texte fassen? Ist das tatsächlich die Explikation (menschlicher) wissenschaftlicher Erkenntnis in Textform oder ist es nichts anderes als die banale Übertragung von Daten in eine natürliche Sprache mit spärlichem Wortschatz und simpler Syntax? Zusammen mit diesem Phänomen neuer robotergenerierter Wissenschaftstexte beschleicht einen das ungute Gefühl, Wissenschaft und Forschung könnten zunehmend nur noch als reine Datenproduzenten agieren, während Interpretation, Einordnung und Bewertung der Erkenntniszusam­menhänge zunehmend in den Hintergrund treten oder noch schlimmer, ganz aus dem wissenschaftlichen Bewusstsein verschwänden.

Ist womöglich auch die zunehmende Verschiebung bibliothekarischer Arbeit von Texten zu Daten ein Zeichen hierfür? Werden künftig keine Erkenntnisinhalte und deren intellektuelle Bewertungen mehr in Bibliotheken zu finden sein, sondern nur noch die vielgerühmten Forschungsdaten, die nicht mehr sein können als automatengenerierte Informationen aus einem Experiment?

Das Thema maschinengenerierter Texte in der Wissenschaft ist also weit mehr als das Methodenproblem der Roboterunterstützung beim Schreiben. Es ist eine Frage nach dem Wesen der Wissenschaft, der Bedeutung von Erkenntnis und dem Kern der Wahrheit. Und sie ist vor allem eine Frage nach der Beteiligung menschlichen Intellekts bei der Erforschung der Welt und ihrer Beschreibung. Immer dann, wenn Maschinen in die Domäne des Menschen eindringen, macht sich Unbehagen breit. Die Erstellung wissenschaftlicher Bücher und Texte durch Roboter fügt ein weiteres, nicht unwesentliches Beispiel hinzu. Wir müssen dies auch zum Thema der Bibliotheken machen.

Herzlich
Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.