Was bitte sind Informationskompetenzkurse?
Liebe Leserinnen und liebe Leser,
Die frei verfügbare Menge an (wissenschaftlicher) Information nimmt täglich zu. Schon gibt es in der Europäischen Union mehr freie wissenschaftliche Inhalte, als es Bestände in Bibliotheken gibt. Das ist eine gute Nachricht, zeigt sie doch, dass die Mühen der Informations- und Wissensgesellschaft nicht umsonst waren und der freie Zugang zu Information und Wissen für alle (zumindest für viele) immer selbstverständlicher wird.
Schon jetzt gehen die Millenials, also diejenigen jungen Leute, die um die Jahrtausendwende geboren sind, geradezu davon aus, dass sie alles, was sie brauchen (und zwar beruflich wie privat), seriöse Informationen wie Unterhaltung gratis im Netz finden und nutzen können. Das ist ein wahrer Paradigmenwechsel, denn diese jungen Leute, von denen 87 % nicht mehr ohne ihr Smartphone aus dem Haus gehen und 80% sofort nach dem Aufwachen ihre mails und social media Kanäle checken , gründen ihr Vorgehen darauf, dass tatsächlich alles, was sie brauchen, im Netz zur Verfügung steht.
Ob das nun gut ist oder schlecht , mag dahin gestellt sein, aber als Informationsfachleute sollten wir diese Zeichen nicht nur nicht übersehen, sondern sie richtig deuten. Und das ist nicht immer einfach.
Wer als Bibliothekar diesen jungen Leuten Informationskompetenzkurse (nicht nur ein sperriges Wort!) verordnet, wird ein müdes Lächeln oder ein grundlegendes Unverständnis ernten. Denn Informationskompetenzkurse sind aus der Sicht der Bibliothekare gedacht und auch gemacht, nicht aus der Sicht der Kunden. Und wie schon Marc Aurel schreibt: „Betrachte einmal die Dinge von einer anderen Seite, als du sie bisher sahst, denn das heißt, ein neues Leben beginnen“.
Viel schlimmer aber noch ist die Tatsache, dass Kunden und potenzielle Kunden von Bibliotheken nicht mehr wissen, was es wo zu finden gibt.
Eine spannende Untersuchung über die Auswirkungen von Open Access in diesem Heft macht geradezu dramatisch deutlich, dass die Fernleihe trotz der frei verfügbaren Inhalte nicht zurückgeht (Baich, Tina: "Open access: help or hindrance to resource sharing?"; in: Interlending & Document Supply, 2015, Seite ???). Es werden weiterhin (und sogar zunehmend!) Inhalte als Fernleihe bestellt, die entweder im Netz frei verfügbar sind oder sogar von der Bibliothek lizenziert sind und elektronisch vorliegen und damit auch im jeweiligen (Bibliotheks- und Hochschulnetz) zur Verfügung stehen. Wir können daraus nur schlussfolgern, dass die Suchsysteme (sowohl die freien als auch die bibliothekarischen) nicht optimal sind .
Ist es als doch sinnvoll, Informationskompentenzkurse anzubieten, dass die Nutzer endlich wissen, welche Ressource auf welchen Portalen liegen und wie sie zugänglich sind?
Nein, wieder falsch gedacht! Wir als Informationsprofis müssen den Kunden da abholen, wo er steht. Und das heisst, wir müssen unsere Systeme so optimieren, dass das, was frei und digital nutzbar ist, auch wirklich schmerzfrei und komplikationslos gefunden werden kann. Erst dann haben wir wirklich etwas für die Verbreitung von Wissen getan. Und das ganz ohne Informationskompentenzkurse.
Herzlich
Ihr Rafael Ball