Corona und die Digitalität
Es ist schon fast eine Binsenweisheit festzustellen, dass die Corona-Pandemie mit ihren Konsequenzen des Social Distancing und des Homeoffice zu einem zumindest gefühlten Digitalisierungsschub geführt hat. Denn was sonst könnte die entstandenen Kommunikationslücken über die räumlichen Diastanzen besser ausgleichen und überwinden helfen als digitale Instrumente. Die Nutzung klassischer Kommunikationsmedien wie Fax und Telefon ist in der Pandemie dagegen nachweislich zurückgegangen.
Das liegt auf der Hand, kombiniert Digitalität doch beides: die Kommunikation zwischen Menschen und gleichzeitig ihre Long-distance-Zusammenarbeit im Faktischen. Eine Umfrage des Branchenverbandes BITKOM bei deutschen Unternehmen hat denn auch einen deutlichen Digitalisierungsschub ausmachen können, aber gleichzeitig digitale Mängel offenbart, die allenthalben noch herrschen. Sicher gilt das auch oder zumindest in ähnlicher Form für die Bibliotheken. Dank ihrer digitalen Bestände waren viele bibliothekarische Einrichtungen physisch geschlossen, aber mit elektronischen Inhalten und virtuellen Veranstaltungen dennoch präsent.
Ob das genügt, wird man dann diskutieren müssen, wenn nach der Coronapandemie aufgeräumt wird, die neu gewonnenen Kunden, aber auch die verlorenen gezählt und die Nutzungsdaten der digitalen Angebote ausführlich analysiert und ins Verhältnis zu den analogen Beständen gesetzt werden. Wir haben in dieser Ausgabe der Library Essentials einige „Corona-Beiträgeˮ versammelt.
Zu all dem kommt aber noch eine weitere (und vielleicht sogar die wesentliche) Fragestellung, wie wir denn nach Corona arbeiten werden und arbeiten wollen. Die Begeisterung des digitalen Homeoffice wird nicht überall und von allen gleichermaßen geteilt. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer sehen noch viele ungelöste Fragen beim Long-distance-Homeoffice. Längst nicht jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter verfügt über geeignete Bedingungen, um in Ruhe und professionell ausgestattet in der eigenen Wohnung arbeiten zu können. Die Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen verläuft ohne persönlichen Kontakt nicht immer reibungslos und kreativ und auch Personalführung stößt im Zoom-Modus bisweilen an ihre Grenzen.
Längst sind nicht alle Fragen des Datenschutzes und der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen geklärt, unter denen man „einfach mal von zu Hauseˮ arbeiten kann. Die Dislozierung der Menschen eines Unternehmens hat in der Vergangenheit eher für mehr als für weniger Probleme gesorgt. Wer weiß nicht darum, wie aufwändig es ist und war, die Außendienstmitarbeiter identitätsstiftend in eine Organisation zu integrieren und dafür zu sorgen, dass dort kein Eigenleben mit eigenen Regeln entsteht? Es ist noch nicht ausgemacht, ob wir alle künftig Außendienstmitarbeiterinnen und -mitarbeiter von Bibliotheken sein werden, ergänzt um einige wenige, die vor Ort die physische Bibliothek repräsentieren müssen oder dürfen.
Aber auch die digitalen Bestände sollten wir nicht in absoluter Sicherheit wähnen. Erst vor wenigen Monaten ist in Straßburg das größte Rechenzentrum Europas mit einem gewaltigen Datenbestand in Brand geraten. Unmengen von Inhalten sind unwiederbringlich verloren gegangen. Die FAZ titelte gar „Am Rhein brennt das Walhall unserer Zeitˮ. So wie es hilfreich war, dass zahlreiche Abschriften der Bücher und Schriftrollen aus der Bibliothek von Alexandria in anderen Teilen der Welt gelagert waren, müssen wir gerade bei den flüchtigen digitalen Inhalten für eine sichere Redundanz einerseits und die zukünftige Lesbarkeit andererseits Sorge tragen.
Es wäre ein fataler Fehlschluss aus der Coronapandemie sich jetzt ins ausschließlich Digitale stürzen zu wollen. Zumal an vielen Stellen erst langsam offensichtlich wird, welchen immensen Schaden die fehlende physische Präsenz angerichtet hat, angefangen von kleinen Kindern bis zu den Ältesten der Gesellschaft.
Herzlich
Ihr Rafael Ball