Editorial 2-2014
Datum: 19. März 2014
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Keep Smiling ;-)

In kaum einem bibliothekswissenschaftlichen Beitrag kommt der Begriff „Best Practice“ nicht vor. Es ist immer und überall die Rede davon. Das ist insofern hilfreich, weil man sich bequem an „Benchmarks“ orientieren kann und einen Maßstab hat, an dem man sich und die eigene Einrichtung misst. Kaum jemand aber fragt danach, was „Best Practice“ eigentlich bedeutet und ob der Vergleich mit den Leistungen anderer wirklich sinnvoll ist.
Wir stellen in dieser Ausgabe der Library Essentials einen Beitrag zu der Erforschung von Best Practice vor („Are Best Practices Really Best? A Review of the Best Practices Literatures in Library and Information Studies.“ S. ???). Das Ergebnis dieses englischen Beitrags aber ist ernüchternd: Denn die meiste informations- und bibliothekswissenschaftliche Literatur basiert nur selten auf klaren empirischen Methoden. Es ist also Vorsicht geboten, denn nur selten ist da, wo „Best Practice“ draufsteht, auch „Best Practice“ drin.

In der Pädagogik ist das Prinzip der Bestrafung schon seit vielen Jahrzehnten vorbei. Es wird nicht mehr länger mit Drohungen und Strafen gearbeitet, nicht mit negativen Verstärkern also, sondern mit dem Einsatz positiver Verstärker. Die Leistungen und das Verhalten von Menschen werden nicht besser, wenn Strafe angedroht wird, sondern wenn Belohnung winkt. Dass in den staatlichen Schulen in Deutschland noch immer die simple Notengebung von eins bis sechs dieses Prinzip mit Füßen tritt, ist eines der traurigsten Kapitel deutscher Kultusministerien.
In der Wirtschaft und im Umgang mit (zahlenden) Kunden aber hat man längst erkannt, dass Freundlichkeit und positive Verstärkung bessere Ergebnisse und zufriedenere Kunden liefern. Wie sonst rechnen sich die großzügigen Rückgaberegelungen der allermeisten Internethändler? Und wer seine Rechnung nicht pünktlich bezahlt, erhält seit Jahren keinen bösen Mahnbrief mehr, sondern zunächst eine freundliche Erinnerung.
Ganz anders in vielen Bibliotheken: Erinnerungsmails mit der Androhung einer Kontosperre, sofort fällige Mahngebühren und sperrige Hinweise auf grausame Verwaltungsrichtlinien sind die Regel. Unser Beitrag „Wie effektiv sind Mahngebühren“ (Do Library Fines Work? Analysis of the Effectivness of Fines on Patron´s Return Behavior at Two Mid-sized Academic Libraries“, S. ???) zeigt anhand zweier unterschiedlich agierender Universitätsbibliotheken, wie wenig effektiv eine rigide Mahngebührenregelung eigentlich ist.
Was also statt dessen? Wie wäre es einmal mit Freundlichkeit und positiver Einstellung zum Thema Bücherrückgabe und Mahnungen? Wenn statt der Androhung von Strafe und Sperre für die nicht fristgerechte Rückgabe von Medien ein Incentive-System für besonders häufig pünktliche Rückgaben belohnt? Etwa mit einem Buchgutschein? Oder der Einladung zu einem „Kundenabend“ für faire Bibliotheksbenutzer?

Sie halten das alles für zu innovativ im öffentlichen Dienst, bei dem die Bibliotheksbenutzer keine Kunden sind, sondern Kostenverursacher? Bei einem Bibliotheksverständnis, das am Ende des Jahres in der Bilanz nur Ausgaben und Kosten kennt, aber keine Positiva auf der Rechnung hat?

Keine Angst, auch hier gilt die „Positivvermutung“: Mit einem Lächeln, etwas Mut und einem positiven Grundansatz können wir auch unsere Bibliotheken aus dem tristen Tal einer Behördenmentalität herausführen. Und der Kunde wird sich mit einem Lächeln bedanken.

Herzlich
Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.