Editorial 10-2019/01-2020
Datum: 3. Februar 2020
Autor: Erwin König
Kategorien: Editorial

Das Jahr 2020 meint es gut mit uns….

…. Die Verträge mit den grossen Verlagen zur Transformation des Publikationssystems (oder zumindest zur Umstellung der Zahlungsströme) sind vielfach erfolgreich abgeschlossen oder zumindest in positiver Atmosphäre in einer «Hold Position». Wir können also davon ausgehen, dass Ende dieses Jahres die Verträge mit den drei grossen STM-Publishern unter Dach und Fach sind. Und das sollte uns alle froh stimmen. Es schützt offensichtlich aber nicht davor, dass die CoalitionS und die EU den Plan S (den viele schon erleichtert abgeschrieben hatten) wieder auf die Tagesordnung heben und ganz offensichtlich im vermeintlichen Siegestaumel der Read and Publish-Verträge nun die Latte erneut höher hängen. Im Wettbewerb mit den Verlagen mag man das noch als eine sportliche Herausforderung und Beschäftigungstherapie für die vielen Beamten der EU und anderswo im Wissenschaftsapparat empfinden. Der wirkliche Realitätscheck aber wird aber nicht in irgendeiner abstrakten «Wissenschaft» gemacht, sondern er erfolgt konkret in der täglichen Arbeit der einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die immer neuen Pläne, Regularien und Vorschriften ihrer Wissenschaftsverwaltungen und Behörden (angefangen von der Universitätsleitungen bis zu den Forschungsförderern und nationalen Stellen) zunehmend weniger verstehen und nachvollziehen können. Was dort ankommt birgt für das Wissenschaftssystem zunehmend Gefahren: Hier die Basis mit den täglichen Anforderungen und Leistungen im Labor, im Hörsaal und den Seminaren – dort die Zumutungen der Entscheidungsträger mit dem Zuckerbrot des Geldes der Projekt- und Karriereförderung und der Peitsche der Vergabe- und Förderrichtlinien. Die Trennung von Produktion und Kapitel und die damit einhergehende Entfremdung von der Arbeit haben wir in anderen Zusammenhängen schon einmal gehört und erlebt: In der Wissenschaft wäre es das Ende von Kreativität, Innovation und Erkenntnis und damit der freien Forschung und Lehre. Die restlichen Stakeholder (dazu zählen auch und gerade Bibliotheken) werden aufgerieben zwischen den Fronten und positionieren sich mal hier mal dort, immer in der Hoffnung, sich an den Brosamen vom Tisch des Transformationsmahls laben zu können, das sie selbst mit aufgedeckt haben.
Mit der APE-Tagung (Academic Publishing in Europe) beginnt in Berlin das Konferenzjahr und dort treffen sich die Granden des (europäischen) Publishing und der anderen Stakeholder des Publikationsprozesses. Es ist erstaunlich, dass die grossen Verlage insbesondere des STM Bereichs Open Access bereits hinter sich gelassen zu haben scheinen und nun nur noch das Thema Open Science adressieren. Gleichzeitig sind es die kleineren und mittelgrossen Verlage (häufig in Disziplinen jenseits von STM aktiv), die noch heftig zu kämpfen haben mit den Vorstellungen vom freien und kostenlosen Zugang zu publizierten Inhalten, dafür weder angemessene Geschäftsmodelle entwickeln und finanzieren können und meist nicht den richtigen Kundenkreis dafür besitzen. Ihnen allen drehen die Bürokraten der Wissenschaftsverwaltungen den Geldhahn regelrecht zu, weil mit den klassischen Produkten dieser Verlage keine Mittel aus den Open Access-Töpfen des «7- Seiten- Online-Artikel-Förderprogramms» zu erhalten sind. Eine differenzierte Sicht tut Not und dies umso mehr, als die Open Access Thematik nun von der strategischen Entwicklung in die operative Phase übergegangen ist. Denn wer jetzt abgehängt wird, wird es bleiben und hat kaum eine Chance im System der kontrollierten Geldverteilung wieder Fuss zu fassen.
Dass Open Access aber trotz aller Beteuerungen von unterschiedlichster Seite in China noch keinen Durchbruch erlebt hat, konnten all diejenigen erleben, die sich den Vortrag des Vorstandsvorsitzenden Li Peng des grossen chinesischen Wissenschaftsverlags und chinesischen Marktführers «Science Press» angehört haben. Das Wort Open Access kam gar nicht vor und auf eine Rückfrage aus dem Publikum antwortete Li Peng, ja, man sei offen und kaufe gerne europäische Verlage auf. Von ihm jedenfalls wird Open Access ein ganz klein wenig anders übersetzt…
Das vorliegende Heft der Library Essentials unterstützt Sie und Ihre Meinungsbildung wieder mit gut recherchierten Beiträgen und Artikeln zu den verschiedensten Themen unserer Branche.
Ich wünsche Ihnen gute Einblicke und ausreichend «food for think»

Herzlich
Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.