Editorial 09-2013
Datum: 3. Dezember 2013
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Das Second-Screen-Phänomen und die sozialen Medien

Vielleicht kennen Sie, liebe Leserinnen und Leser diesen Ausdruck noch nicht, aber das Phänomen haben Sie längst beobachtet: Vor dem Fernseher werden noch schnell die Emails gecheckt, eine sms geschrieben oder ein Tweed abgesetzt. Das Tablet und das Smartphone sind auch dann nicht verschwunden, wenn der Fernseher läuft.
Ein zweiter oder sogar dritter Bildschirm ist immer öfter parallel in Betrieb. Dieses Phänomen wird als Second-Screen-Phänomen beschrieben. Dabei sieht die IT-Branche eine klare Konvergenz der Geräte kommen, so dass künftig nur noch ein Bildschirm für alle Arten der Anwendungen nötig sein wird.
Gleichzeitig sagen uns die Digital Natives, dass das Fernsehen mit seinen festen Programmstrukturen nicht mehr in die digitale Lebenswirklichkeit passt. Genau wie Schulungen und Einführungen zu festen Zeiten und an konkreten Orten zunehmend abgelöst werden durch Online-Tutorials und Selbstlernsysteme. Die Selbstbestimmtheit der Generation Y ist einfach viel zu groß geworden, als dass sie sich noch in ein Raster pressen lassen will. Somit ist wohl auch das Second-Screen-Phänomen nur ein passageres Thema, das bald verschwunden sein wird. Unter den „Trends“ analysieren wir dazu mehrere Studien in diesem Heft.
Dass das Internet eine unüberschaubare Anzahl von Anwendungen und Möglichkeiten bereithält, ist ja lägst bekannt. Aber allmählich mehren sich die Zweifel, ob die bunte Vielfalt denn auch wirklich von jedem Internetnutzer gesehen und genutzt wird. Vielmehr geht der Trend dahin, dass die wichtigsten Anwendungen innerhalb von sozialen Netzwerken stattfinden und von dort ausgehen. Die sozialen Netzwerke – und allen voran Facebook – sind so konstruiert, dass niemand mehr diese Umgebung verlassen muss, um die wichtigsten Internetanwendungen zu nutzen. 64% der deutschen Internetnutzer haben dort einen Account und längst sind es nicht mehr nur junge Leute, sondern zunehmend die Silver Surfer, die sich im sozialen Netzwerk organisieren (BITKOM: „Soziale Netzwerke – dritte erweiterte Studie“ 2013, in diesem Heft auf Seite 13).
Deshalb ist es ja so wichtig, dass auch Bibliotheken ihre Kunden da abholen, wo sie sich aufhalten – in sozialen Netzwerken nämlich. Und deshalb ist es keine Ressourcenverschwendung, Personal und Geld in Social Media Aktivitäten zu stecken und diesen zukunftsträchtigen Kanal zu bedienen. Nur dröge Beamte und Formalisten sehen hier permanent das Datenschutzgespenst und verbreiten die Meinung, dass öffentliche Einrichtungen immer von vorgestern sein müssten.
Ob Second Screen oder Soziales Netzwerk: Die Bibliothek muss immer schon da sein, wenn der Kunde sich einloggt.

Herzlich
Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.