Noch immer graue Mäuse
Wir müssen nicht immer „schneller-höher-weiter“ kommen, aber einfacher sollen die Welt und ihre Systeme schon werden. Dies ist mit dem Einzug der Computertechnologie nicht immer gelungen. Seit dieser Zeit wird das Thema „Mensch-Maschine-Interaktion“ immer bedeutungsvoller, ohne dass grundsätzlich radikale Verbesserungen möglich geworden sind. 1980 erstmals als Begriff entstanden und dann im Buch „The psychology of Human-Computer-Interaction“ 1983 gefestigt, ist es Forschungsthema verschiedener Disziplinen, Beispiel interdisziplinärer Zusammenarbeit und dauerndes Ärgernis frustrierter Benutzer von Computersystemen, ohne dass es zu grundlegenden Erfolgen gekommen wäre.
Noch immer müht sich die halbe Menschheit mit Tastaturen und Mäusen als den zentralen Eingabesystemen ab, um die von mehr oder weniger kreativen Programmieren geschaffenen Schnittstellen zu den IT-Systemen zu bedienen. Immer wieder sind verschiedene Versuche gestartet worden (und auch wieder gescheitert), alternative Eingabesysteme zu entwickeln und umzusetzen.
Dies gilt und galt auch für Bibliotheken und ihre vielfältigen Angebote. Wer erinnert sich nicht an die Marketingflops von großen Bibliotheken, wo sich Bibliotheksdirektoren selbst inszenierten und mit ausladender Gestensteuerung die Seiten digitalisierter Handschriften umblätterten?
Nach diesen einmaligen Showeffekten wurden in Handschriftenlesesälen nie wieder gestikulierende Forscher gesichtet, die eindrucksvoll und gymnastisch Seiten umblättern.
Im 21. Jahrhundert ist es noch immer state-of-the-art, auch komplexe KI-gestützte Systeme mit Maus und Tastatur zu füttern und damit einen enormen Umweg über ein sehr begrenztes Kodierungssystem vom menschlichen Intellekt zur Maschine machen zu müssen.
Gewiss, die Sprachsteuerung ist ein wichtiger Fortschritt, diesen Umweg abzukürzen und um direkter von der kognitiven Ebene im Hirn auf die Maschinenebene des Computers zu gelangen.
Doch wer ist sich schon sicher, dass die Sprachsysteme alles verstehen und beherrschen? Auch hier liegt noch ein weiter Weg vor uns und wir alle kennen die massiven Grenzen, die Spracherkennung noch immer begleiten.
Wer heute in einer wissenschaftlichen Bibliothek die umfangreichen Angebote von Katalog, Zeitschriften und Datenbanken nutzen möchte, ist noch immer verwiesen auf Tastaturen, Mäuse und umständliche begrenzende Pull-Down Menüs, die im Zweifel immer das zur Auswahl stellen, was niemand braucht und jene Option nicht vorhalten, die man sich dringend wünscht.
Wie viel einfacher wäre eine kluge und schnelle Sprachsteuerung zum Herausfinden des gewünschten Zeitschriftenbandes oder der exakten Ausgabe eines Buchs?
In dieser Ausgabe der Library Essentials haben wird die Gardner Technology Trends analysiert. Hier spielt das Thema Mensch - Maschine - Interaktion nach Ansicht der Analysten in Zukunft eine sehr große Rolle. Wir dürfen also hoffen.
In Bibliotheken aber sehen wir weder gestikulierende Umblätterer noch sprechende Katalognutzer, sondern noch immer Menschen, die vor grauen Tastaturen und blinkenden Mäusen sitzen, um sich den Schatz herauszusuchen, den die Bibliothek seit Jahrhunderten für sie archiviert hat.
Wir sehen: Nicht nur die Benutzung von Sammlungen, sondern auch das einfache (wirklich einfache) Auffinden der Schätze ist eine Herausforderung für die Bibliothek von heute und morgen.
Wer sagt da noch, dass es keine Aufgaben mehr für uns gibt?
Herzlich
Ihr Rafael Ball