Editorial 3-2015
Datum: 20. April 2015
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

im Editorial des letzten Hefts von Library Essentials ging es um die Publikationsflut und die Aufgaben von Informationsspezialisten. Wir können heute nahtlos anknüpfen an dieses Thema: Im ersten Beitrag stellen wir Ihnen eine Studie vor, die nachweist, dass der Information Overload auch eine Frage des Alters ist (Benselin, Jennifer C.; Ragsdell, Gillian: "Information overload: The differences that age makes", S. 6). Ganz offensichtlich leiden nur diejenigen nicht unter der Informationsflut, die ganz bewusst auf die permanente Nutzung von elektronischen Diensten und sozialen Medien im Netz verzichten. Sollen wir nun daraus schlussfolgern, auf die moderne Technik von Computer und Internet zu verzichten?

Sicher nicht. Aber wir sehen klar und deutlich, wie wichtig es ist, den Umgang mit der modernen Technik, ihren Inhalten und Methoden zu lernen und als Bibliothek und Informationsprofis zu lehren. Denn nur wer weiss, wie das Netz und alle seine Anwendungen funktionieren, wird nicht davon überwältigt, sondern kann die Systeme für sich gewinnbringend einsetzen. Und das unabhängig vom Alter.

Denn mehr denn je gilt, dass es selbst zu viel an relevanter Information gibt und nicht zu wenig. Das Herausfiltern von irrelevanten Informationen gelingt vielen Internetnutzern schon gut, aber es gibt immer noch zu viele relevante Informationen, aus denen jene Elemente herausgefunden werden müssen, die man tatsächlich lesen, konsumieren oder wie auch immer nutzen möchte.

Und das ist eben die grosse Herausforderung und wird zur bibliothekarischen Gretchenfrage: Denn – wie Basex Research herausgefunden hat – kostet der Information Overload allein in den USA jährlich über 900 Milliarden USD. Und damit gewinnt unser Job plötzlich eine wuchtige finanzielle Dimension. Denn wenn es unseren amerikanischen Bibliothekskollegen gelingt, auch nur die Hälfte der Informationsflut zu verhindern, haben sie 450 Milliarden USD eingespart, und das ist ein Vielfaches dessen, was alle Bibliotheken in den USA zusammen kosten. Selten ist der wirtschaftliche Nutzen von Bibliotheken und Informationsprofis so klar monetär dargestellt worden.

Der Slogan des Deutschen Bibliotheksverbandes, wonach Bibliotheken sich nicht rechnen, aber auszahlen, ist demnach falsch. Sie rechnen sich und sie zahlen sich aus. Wer hätte das gedacht, dass einmal ein amerikanisches Consultingunternehmen ganz nebenbei eine finanziell positive Bilanz von Bibliotheken errechnet?

Wir freuen uns darüber und können unseren Unterhaltsträgern endlich präsentieren, warum es sich lohnt, in Bibliotheken zu investieren. Der Return of Investment ist nämlich gewaltig.

Herzlich

Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.