Bibliotheken am Scheideweg
Datum: 3. Mai 2012
Autor: Erwin König
Kategorien: Studien

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Interessante Einblicke in die aktuelle Lage von nordamerikanischen Bibliotheken liefert eine neue Studie von Unisphere Research, der Marktforschungseinheit von Information Today Inc., das u.a. Herausgeber von bekannten Informationsfachblättern und Publikationen wie der „Searcher“, „Computers in Libraries“ oder „ONLINE Magazine“ ist. Konkret wird untersucht, wie sich die Etats dieser Informationseinrichtungen unter dem möglichen Einfluss einer allgemein leicht verbesserten Konjunktur in den USA und Kanada entwickelt haben. Insgesamt haben 730 Personen an dieser Untersuchung teilgenommen. Es handelt sich hierbei um verschiedene Informationsspezialisten, wie Direktoren, Bibliotheksmanager, Bibliothekare etc., aus einer großen Bandbreite von Bibliothekstypen.

Zuerst einige „demographische“ Merkmale der an der Befragung teilnehmenden Bibliotheken:

  • Die Verteilung der befragten Bibliotheken nach Typ sieht folgendermaßen aus: Bei 41% handelt es sich um öffentliche Bibliotheken, 33% sind wissenschaftliche Bibliotheken, 8% sind Spezial- oder Firmenbibliotheken, 7% sind Schulbibliotheken, 5% sind Behördenbibliotheken und 6% andere.
  • 74% der Informationseinrichtungen haben zumindest teilweise Entscheidungsgewalt über ihren Jahresetat.
  • 40% der untersuchten Informationseinrichtungen verfügen über ein Jahresbudget mit mehr als 1 Mio. US$.

Folgende wichtige Resultate hat diese Studie u.a. ergeben:

  • Die an dieser Untersuchung teilnehmenden Bibliotheken gaben durchschnittlich gesehen insgesamt an, dass sich die Budgets für 2012 gegenüber dem Vorjahr wieder etwas gesteigert haben. Trotzdem reichen diese Etaterhöhungen nicht aus, um mit den wachsenden Ausgaben für Mitarbeiter, Geschäftstätigkeit und Ausrüstung mitzuhalten. Folge davon ist, dass die meisten Informationseinrichtungen weiter einen strengen Sparkurs fahren müssen.
  • Das zur Verfügung stehende Gesamtbudget verteilt sich auf Personalausgaben mit 52% (2011: 46%), Sammlungserwerb mit 25% (2011: 28%), Bibliothekssysteme und andere Ausrüstung mit 8% (Vorjahr 9%), Ausgaben für die allgemeine Geschäftstätigkeit wie Betriebsstätten-Kosten mit 11% (Vorjahr 11%) sowie andere Ausgabenposten mit 4% (Vorjahr 5%).
  • Ein weiterer wichtiger Trend – den auch in dieser Untersuchung bestätigt – ist der von den Bibliotheken selbst vorangetriebene Angebotswechsel zu mehr digitalen Informationsquellen. So sind die Ausgaben für gedruckte Bücher und andere Publikationen am Erwerbungsetat gegenüber 2011 mit 39% gleichgeblieben. Der Ausgabenposten für digitale Inhalte wie Online-Datenbanken oder digitale Sammlungen hat sich dagegen von 19% im Jahr 2011 auf 25% 2012 spürbar erhöht. Gleichzeitig nahm das Anschaffungsbudget für Printabonnements von Zeitschriften von 23% (2011) auf 18% dieses Jahr ab. Erwähnenswert ist, dass sich der Anteil der E-Books bei den Erwerbsausgaben weiterhin bei lediglich 3% wie im Vorjahr bewegt.
  • Die wichtigsten eingesetzten Sparmaßnahmen entsprechen in Art und Höhe ziemlich genau denjenigen aus dem Jahr 2011. Gespart wird hauptsächlich bei Abonnements (2012: 49%, Vorjahr 48%), bei der Mitarbeiterweiterbildung (39%, 2011: 44%) sowie Nullrunden bei den Personalgehältern (2012: 38%, 2011: 39%).
  • Weitere Haushaltsmaßnahmen sind etwa Mitarbeiter-Entlassungen bzw. Arbeitszeitverkürzungen, Beantragen von mehr Fördergeldern, Dienstleistungen und Materialien vermehrt online anbieten, Neuverhandlungen von Verträgen mit den Informationsanbietern, Reduzierung der Öffnungszeiten, verstärkte Zusammenarbeit mit anderen Bibliotheken oder Konsortien, Nutzung von ehrenamtlichen Helfern, Verkürzung des Bibliotheksprogramms, verstärkte Lobbyarbeit für mehr Mittelbereitstellung sowie Kürzung der IT-Ausgaben. Knapp ein Fünftel (19%, 2011: 19%) hat angegeben, ohne Budgetkürzungen oder Haushaltssperren auszukommen.
  • Informationseinrichtungen haben, wie Unternehmen und Privatpersonen auch, immer mehr Probleme, mit dem ständig zunehmenden Angebot an digitalen Informationen mithalten zu können. So nimmt die Nachfrage nach digitalen Inhalten durch die User weiterhin zu. Insgesamt 74% (Vorjahr 72%) der Umfrageteilnehmer sehen eine Zunahme nach solchen Informationsangeboten. Währenddessen sehen lediglich 34% (2011: 43%) der Bibliotheken eine steigende Nachfrage nach gedruckten Materialien durch ihre Benutzer.
  • Konkret nachgefragt werden digitale Dienstleistungen wie mobiler Zugang, Computer-/Web-Zugang, E-Books, technische Informationen/Schulungen, Jobsuche/ Informationen zu Karriereentwicklung, Hörbücher, Streaming Media oder Gesundheitsinfos.
  • Cloud Computing wird auch für Bibliotheken immer bedeutender. Zwar hat man noch nicht Nutzungsstatistiken wie etwa in Deutschland durch Privatverbraucher (laut aktueller Studie des BITKOM haben bereits vier von fünf deutschen Internetusern Daten in der Wolke abgelegt), aber die offensichtlichen Vorteile von Cloud-Diensten dürften manches vermutetes Sicherheitsrisiko auf Dauer auch für Informationseinrichtungen überwiegen. In der vorliegenden Untersuchung haben insgesamt 12% (2011: 7%) in irgendeiner Form Cloud-Dienste eingesetzt.
  • Genutzt werden Cloud-Dienste hauptsächlich für IT-Infrastrukturaufgaben wie Online-Speicherplatz, und für Kommunikationsmöglichkeiten wie Webkonferenzen, Videos oder E-Mail.
  • Bei der Frage nach den aktuell eingesetzten Informationstools und Plattformen stechen die Steigerungsraten bei den integrierten Bibliothekssystemen (82%, plus 10% gegenüber 2011), Intranet/Extranet/Webauftritt (73%, +7% gegenüber dem Vorjahr) und Lesegeräte für E-Books (26%, +12%) hervor.
  • Der Einsatz von sozialen Medien in Bibliotheken stagniert oder ist dagegen sogar leicht rückläufig. So werden soziale Netzwerke wie Facebook oder LinkedIn 2012 nur mehr in 49% (2011: 52%) der teilnehmenden Informationseinrichtungen genutzt.
  • Als die größten Herausforderungen in den nächsten fünf Jahren werden der Erhalt der angebotenen Dienstleistungen bei beschränktem Budget, das Mithalten mit den technologischen Entwicklungen, das Identifizieren von neuen Fördergeldquellen, die Migration von Print zu Digital sowie das Finden und Bewahren von sachkundigen Mitarbeitern genannt.

Die Resultate dieser Studie werden für einige Fragen bis auf die einzelnen Bibliothekstypen herunter gebrochen, wobei sich teilweise recht unterschiedliche Ergebnisse für die jeweiligen Typen feststellen lassen. So ist die Nachfrage nach digitalen Inhalten und Dienstleistungen in öffentlichen Bibliotheken mit Abstand am größten, vor wissenschaftlichen Bibliotheken, und deutlich am geringsten in Spezial- und Firmenbibliotheken.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung dürften sich nur unwesentlich von den Erfahrungen von Bibliotheken in Deutschland unterscheiden. Der Spardruck auf die Informationseinrichtungen hält weiter an, auch wenn, Dank einer sich leicht aufhellenden allgemeinen konjunkturellen Lage, der Budgetdruck vielleicht nicht mehr ganz so groß ist. Der Bericht verdeutlicht aber auch, dass es noch lange keinen Grund zum entspannten Aufatmen gibt. Budgetkürzungen hin oder her, entscheidend für den zukünftigen Erfolg von Informationseinrichtungen aller Art scheint vielmehr, wie der Wandel zu den digitalen Informationsquellen zu bewerkstelligen ist. Vergessen wird oft, dass mit dem Übergang von gedruckt zu digital, zuerst auch die vorhandene Strategie überarbeitet und geändert werden muss. Gerade in Informationseinrichtungen neigt man gerne dazu, nur taktische Änderungen, sprich punktuelle Neuerungen, wie die Einführung neuer Informationsprodukte, vorzunehmen, ohne auch gleichzeitig die eigenen Ziele und Dienstleistungen entsprechend anzupassen und weiterzuentwickeln. Die User selbst haben sich zu großen Teilen bereits auf eine immer stärker digitalisierte Welt eingestellt und verlangen dementsprechend vermehrt nach eben solchen Inhalten. Nicht verwunderlich werden in der vorliegenden Studie Bibliotheksentscheider zitiert, die Schwierigkeit haben, mit dem verfügbaren Budget die von den Usern gewünschten elektronischen Inhalte alle zu beschaffen. Oder anders ausgedrückt, die Nachfrage nach digitalen Materialien und Informationsquellen ist oftmals größer als das in den Informationseinrichtungen vorhandene Angebot an selbigen.

In das gleiche Horn stößt in diesem Zusammenhang auch der Hightech-Verband BITKOM und fordert für die öffentlichen Bibliotheken in Deutschland eine bessere Ausstattung mit elektronischen Inhalten. So bieten überhaupt erst ca. 10% der öffentlichen Bibliotheken in Deutschland die Möglichkeit zur Onleihe, d.h. eine Ausleihmöglichkeit von digitalen Medien wie E-Books, Filme oder Hörbüchern an. Das BITKOM sieht dabei ernsthafte Gefahren, dass die Informationseinrichtungen eine jüngere Generation an Benutzern verlieren könnten, wenn sie nicht entsprechende Angebote für diese Nutzergruppe anbieten. Diese Erkenntnis ist nicht gerade neu, aber interessant ist, dass sich ein eigentlicher branchenfremder Verband hier für die Rechte der Bibliotheken engagiert. Eigentlich wäre dies die Aufgabe der Bibliotheks- und Informationsfachverbände, oder? Man kann die Überschrift dieses Beitrags eigentlich auch ausweiten auf „Bibliotheks- und Informationsfachverbände am Scheideweg“. Diese drohen aufgrund der vielen neuen Baustellen, oder sagen wir Möglichkeiten, etwas die Orientierung zu verlieren, wo sie ihre Schwerpunkte setzen sollen.

Quellen:
McKendrick, Joseph: “The Digital Squeeze: Libraries At The Crossroads. The Library Resource Guide Benchmark Study On 2012 Library Spending Plans“; March 2012, online abrufbar unter der Internetadresse (kostenloser Download, erfordert vorher aber eine kurze Registrierung zum Herunterladen) http://www.libraryresource.com/Readers/Subscriber.aspx?Redirect=http://www.libraryresource.com/Downloads/Download.ashx?IssueID=3213

http://www.bitkom.org/de/presse/8477_71492.aspx

Interessante Einblicke in die aktuelle Lage von nordamerikanischen Bibliotheken liefert eine neue Studie von Unisphere Research, der Marktforschungseinheit von Information Today Inc., das u.a. Herausgeber von bekannten Informationsfachblättern und Publikationen wie der „Searcher“, „Computers in Libraries“ oder „ONLINE Magazine“ ist. Konkret wird untersucht, wie sich die Etats dieser Informationseinrichtungen unter dem möglichen Einfluss einer allgemein leicht verbesserten Konjunktur in den USA und Kanada entwickelt haben. Insgesamt haben 730 Personen an dieser Untersuchung teilgenommen. Es handelt sich hierbei um verschiedene Informationsspezialisten, wie Direktoren, Bibliotheksmanager, Bibliothekare etc., aus einer großen Bandbreite von Bibliothekstypen.

Zuerst einige „demographische“ Merkmale der an der Befragung teilnehmenden Bibliotheken:

  • Die Verteilung der befragten Bibliotheken nach Typ sieht folgendermaßen aus: Bei 41% handelt es sich um öffentliche Bibliotheken, 33% sind wissenschaftliche Bibliotheken, 8% sind Spezial- oder Firmenbibliotheken, 7% sind Schulbibliotheken, 5% sind Behördenbibliotheken und 6% andere.
  • 74% der Informationseinrichtungen haben zumindest teilweise Entscheidungsgewalt über ihren Jahresetat.
  • 40% der untersuchten Informationseinrichtungen verfügen über ein Jahresbudget mit mehr als 1 Mio. US$.

Folgende wichtige Resultate hat diese Studie u.a. ergeben:

  • Die an dieser Untersuchung teilnehmenden Bibliotheken gaben durchschnittlich gesehen insgesamt an, dass sich die Budgets für 2012 gegenüber dem Vorjahr wieder etwas gesteigert haben. Trotzdem reichen diese Etaterhöhungen nicht aus, um mit den wachsenden Ausgaben für Mitarbeiter, Geschäftstätigkeit und Ausrüstung mitzuhalten. Folge davon ist, dass die meisten Informationseinrichtungen weiter einen strengen Sparkurs fahren müssen.
  • Das zur Verfügung stehende Gesamtbudget verteilt sich auf Personalausgaben mit 52% (2011: 46%), Sammlungserwerb mit 25% (2011: 28%), Bibliothekssysteme und andere Ausrüstung mit 8% (Vorjahr 9%), Ausgaben für die allgemeine Geschäftstätigkeit wie Betriebsstätten-Kosten mit 11% (Vorjahr 11%) sowie andere Ausgabenposten mit 4% (Vorjahr 5%).
  • Ein weiterer wichtiger Trend – den auch in dieser Untersuchung bestätigt – ist der ...

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