Zur nächsten Generation der OPACs
Datum: 22. März 2015
Autor: Erwin König
Kategorien: Fachartikel

Der OPAC (Online Public Access Catalogue) ist für die meisten Bibliotheken und auch für deren Benutzer wohl noch immer der wichtigste und zentrale Einstiegspunkt zu den in einer Bibliothek vorhandenen Beständen. Umso entscheidender ist es, dieses Werkzeug weiter zu verbessern und für die sich ändernden Anforderungen der Nutzer anzupassen und weiterzuentwickeln. Im Fokus für diese neue Art der OPACs stehen meist zusätzliche Funktionen sowie eine überarbeitete Benutzeroberfläche. Die Frage ist, ob die User wirklich einen OPAC mit Web 2.0-Aussehen und Funktionen benötigen und wünschen? Schließlich versprechen die Anbieter, genau solche OPACs zu entwickeln. Dieser Beitrag versucht, die Präferenzen der Benutzer zu bestimmen, wenn es um den OPAC der nächsten Generation geht.

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Die aktuelle Fachliteratur lässt vermuten, dass die heutigen Bibliotheksbenutzer einer Internetsuchmaschine wie Google klar den Vorzug vor den teilweise unübersichtlichen und schwierig zu verstehenden Bibliothekskatalogen geben. Kurz gesagt gelten die OPACs in der Regel als wenig benutzerfreundlich, langsam und kompliziert. Also, alles was Google nicht ist. Eigentlich kein Wunder, schließlich wurde seit den 1980er-Jahren an dem grundlegenden OPAC-System genau genommen nur wenige Änderungen vorgenommen. Wenn Bibliotheken für ihre Benutzer relevant bleiben wollen, ist es unverzichtbar, dass der OPAC eine nächste Entwicklungsstufe nimmt. Das bedeutet, dass die ursprünglich aus der Sicht von erfahrenen Bibliothekaren entwickelten OPACs nun stärker nach den Bedürfnissen und Wünschen der Benutzer erstellt werden müssen.

So sollten moderne OPACs es den Benutzern erlauben auf eine mehr erforschende Art Inhalte zu finden. Heutige OPACs führen meist nur mit einer gezielten Suche ("known items") zum Erfolg. Gefragt ist aber eine Suche mit einfachen Suchbegriffen, und nicht das Auswählen von umständlichen Suchfilter-Voreinstellungen, wie es gegenwärtig Standard ist. Diese neuen OPACs müssen auf User ausgelegt sein, die über keine oder nur wenige Sucherfahrungen verfügen, bzw. sich nicht bewusst sind, welche Informationsressourcen ein OPAC beinhaltet. Wünschenswert wären somit Funktionen wie eine automatische Rechtschreibprüfung, Empfehlungsfunktionen sowie Links zu Volltexten. Weiterhin findet man in der Literatur zu diesem Thema den Vorschlag, diese modernen OPACs an beliebte Websites wie Amazon anzugleichen, d.h. Bilder von Buchtiteln einzubinden, sowie mittels Tag-Cloud und Icons wichtige Informationen zu verstärken. Auch typische Web 2.0-Elemente für nutzergenerierte Inhalte und mehr Interaktivität sollten integriert werden, wie z.B. RSS-Feeds, Bewertungs- und Kommentarmöglichkeiten sowie auch die Möglichkeit zur Verschlagwortung ("Tagging").

Um zu untersuchen, welche Funktionen und Anforderungen bei modernen OPACs tatsächlich auf Resonanz bei den verschiedenen Nutzergruppen stoßen, wurde an der Universitätsbibliothek in Sheffield (kurz TUOS) eine kleine Vergleichsstudie durchgeführt. Diese Einrichtung hat mit StarPlus gerade einen OPAC der nächsten Generation erworben und bietet diesen OPAC in einer Beta-Version für ihre Nutzer an. Daneben steht aber gleichzeitig noch der bisherige, alte Star-Katalog, ein OPAC der 2. Generation zur Verfügung. StarPlus ist dabei eine kundenspezifisch angepasste Version der von der Firma Ex Libris angebotenen Discovery-Lösung Primo. Primo soll Benutzern eine intuitive Benutzung ermöglichen und keine vorherige Schulung erfordern. In dieser Untersuchung werden die Teilnehmer nach ihren Meinungen und Eindrücken zu dem alten Star-Katalog und zu der neuen Version StarPlus befragt, den sie teilweise zum ersten Mal bei diesem Test benutzt haben. Die Gruppe der Interviewteilnehmer besteht aus 7 Bibliothekaren, 6 Studenten des Bibliotheks- und Informationswesen sowie 5 Bibliotheksbenutzern in Form von Doktoranden aus anderen Fachgebieten. Obwohl diese Stichprobe relativ klein ist, erlaubt die explorative Untersuchungsmethode vertiefte Einblicke, um bestimmte Verhaltensmuster bei der Nutzung dieser neuen OPACs zu erkennen, die dann später in einer weiteren, größeren Untersuchung getestet werden können.

Hier einige Aussagen und Erkenntnisse aus den Interviews mit den 18 befragten Personen:

  • Allgemein werden von den Studienteilnehmern bei dem alten Star-System die eingeschränkten Blättermöglichkeiten genannt. So ist es fast zwingend notwendig, für das Auffinden von bestimmten Informationsquellen zuerst genaue Angaben zu einem Buch oder anderen Dokumenten zu machen. Als Folge davon suchen z.B. die Bibliothekare der TUOS zuerst in einer Internet-Suchmaschine nach den bibliographischen Informationen und geben diese dann in Star ein.

  • Die Gruppe der Bibliotheksstudenten bevorzugt anstelle von Star eher Internetsuchwerkzeuge wie besonders Google Scholar und fachspezifische Datenbanken, da diese einfacher eine Sucheingrenzung ermöglichen sowie häufig direkt zum Volltext verlinken.

  • Die Gruppe der Doktoranden ist nur wenig mit dem alten Star-Katalog vertraut und gar nicht mit StarPlus. In der Regel benutzen sie für ihre Recherchen zuerst Internettools wie Google und Google Scholar. Wie die Bibliothekare setzen sie eine Kombination aus Google und Star ein, um Bibliotheksmaterialien zu finden.

  • Mehrheitlich wird das vereinfachte Suchfeld von StarPlus von den Teilnehmern als positiv beurteilt, da sie der bekannten Sucheingabe auf Websites wie Google, Ebay oder Amazon entspricht. Nur zwei Informationsspezialisten äußern Zweifel, da möglicherweise für die Benutzer nicht ganz klar ist, was sie genau in diese Suchbox eingeben sollen.

  • Geteilt sind die Meinungen bei der Frage, ob noch eine erweiterte Suche benötigt wird.

  • Positiv wird von den meisten Teilnehmern der Faceted Browser von StarPlus bewertet, d.h. anhand einer Klassifikation können Suchtreffer nach und nach eingeschränkt werden. Allerdings wird vereinzelt bemängelt, dass es zu viele Optionen gibt, wodurch viele Facetten ausgeblendet werden. Daher sollte die Anzahl der Facetten reduziert werden.

  • Bei der in StarPlus vorhandenen Möglichkeit zum User-Tagging gibt es ebenfalls unterschiedliche Meinungen. Die meisten der Bibliothekare und die Doktoranden sehen es als sinnvoll an, während die Gruppe der Bibliotheksstudenten dies eher nicht so beurteilt.

  • Die e-Shelf-Funktion von StarPlus wird allgemein von den interviewten Personen begrüßt. Mit e-Shelf können personalisierte Buchlisten oder Treffer von Suchanfragen gespeichert werden. Allerdings werden von den Teilnehmern diverse Verbesserungsvorschläge zu der grafischen Darstellung sowie auch zum Funktionsumfang gemacht.

  • Die visuelle Gestaltung von StarPlus wird von den Doktoranden und den Bibliotheksstudenten mehrheitlich als gut bewertet. Anderer Meinung ist die Gruppe der Bibliothekare, die bei der Benutzeroberfläche noch Verbesserungspotenzial sieht. Besonders die großen Freiflächen auf dem Bildschirm werden kritisiert, die die User dazu verleiten könnten, eine Seite herunterzuscrollen, obwohl keine Inhalte vorhanden sind.

  • Unter den 7 Informationsspezialisten und den 6 Bibliotheksstudenten herrscht allgemeine Übereinstimmung, dass StarPlus eine Verbesserung gegenüber dem alten Star-Katalog darstellt. Zudem sagen auch die 5 Doktoranden, dass sie nachdem sie sich mit StarPlus vertraut gemacht haben, auch beabsichtigen, dieses Produkt weiter zu benutzen. Insgesamt wird von den befragten Personen StarPlus als flexibler und ausgereifter empfunden als die alte Star-Version.

Wie bereits angemerkt ist die für diese Arbeit benutzte Stichprobe relativ gering. Trotzdem lassen sich ein paar Verallgemeinerungen ableiten, die auch in Übereinstimmung mit der verfügbaren Fachliteratur bei diesem Thema bestehen. Moderne OPACs – hier eben eine Beta-Version von StarPlus – sind den herkömmlichen OPACs in vielen Bereichen überlegen, d.h. sie sind benutzerfreundlicher, sie verfügen über mehrere Optionen für die Informationssuche und sind intuitiver zu nutzen. Etwas überraschend im Zeitalter der sozialen Netzwerke ist das geringe Interesse der Studienteilnehmer an Web 2.0-Funktionen wie Tagging, Kommentaren und anderen von den Nutzern selbst erstellten Inhalten. Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu der Fachliteratur, wo formuliert wird, dass heutige User solche interaktiven Funktionen bei einem OPAC erwarten würden. Negativ anzumerken ist für das in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehende Produkt StarPlus, dass nicht alle angebotenen Funktionen von den Studienteilnehmern verstanden worden sind und es weitere Schulungen braucht um diese Lösung noch effektiver verwenden zu können. Es wird daher empfohlen, dass noch mehr Bildschirmhilfen mittels Tooltips oder Pop-up-Fenster für die diversen Funktionen angeboten werden.

Fasst man die vorliegenden Resultate zusammen, so zeigt sich, dass die bestehenden, "alten" OPAC-Lösungen dringend einer Überarbeitung bedürfen und neue Lösungen wie StarPlus deutliche Vorteile nicht nur für den Durchschnittsuser mit sich bringen. Die Auswertung der Interviews zeigt aber auch, dass die Umsetzung in einen OPAC der nächsten Generation in der Praxis nicht so einfach ist. Genau genommen ist das Ziel, einen OPAC der nächsten Generation zu entwickeln, mit den Aussagen der interviewten Personen, dass sie noch Schulungen benötigen, um effektiver mit den vielen Funktionen zu arbeiten, nicht ganz erreicht. Grundsätzlich sollte eine neuartige OPAC-Lösung eigentlich alle möglichen Hilfsmittel mitbringen, damit man sich im Zweifelsfall selbstständig die entsprechenden Kenntnisse beibringen kann. Dass Schulungen zu einer gewissen Zeitersparnis führen können und man dort auch noch den einen oder anderen Trick erlernt, bleibt unbestritten.

Quelle: Osborne, Hollie M.; Cox, Andrew: "An investigation into the perceptions of academic librarians and students towards next-generation OPACs and their features"; in: Program: electronic library and information systems, 2015, Vol. 49, No. 1, 23-45, http://dx.doi.org/10.1108/PROG-10-2013-0055

Schlagworte: Benutzerfreundlichkeit, Benutzeroberfläche, Bibliotheken, Bibliothekskatalog, OPACs, Primo, StarPlus

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