Vorlesestudie 2012: Digital ergänzt Print, ersetzt es aber (noch) nicht
Datum: 7. Dezember 2012
Autor: Erwin König
Kategorien: Kurz notiert

In vielen Bildungsdebatten wird oft darauf hingewiesen, dass es für Kinder und Jugendliche wesentlich ist, viel und gut lesen zu können, um eine gute Grundlage für einen höheren Schulabschluss zu besitzen. So richtig und wichtig wie dieses Argument ist, wird aber nur selten auf das sich gerade in den letzten Jahren deutliche veränderte Leseverhalten besonders einer jungen Generation eingegangen. Hier tut sich aufgrund neuer Möglichkeiten, wie digitaler Medien und mobiler Endgeräte, sehr viel (siehe hierzu auch nachfolgenden Beitrag "Wie junge US-Amerikaner Bibliotheken nutzen). Was und ob Kinder später viel lesen, wird aber erheblich durch das Vorleseverhalten ihrer Eltern in der frühen Kindheit bestimmt. Eine gemeinsam vom Institut für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen, ZDF und Deutsche Bahn initiierte und veröffentlichte aktuelle Untersuchung analysiert bereits zum 6. Mal die Einflüsse und Auswirkungen des Vorlesens in der Kindheit in der deutschen Bevölkerung. Bei der Vorlesestudie 2012 rücken zum ersten Mal als wichtigste Untersuchungsziele die Einflüsse von digitalen Lesegeräten, d.h. Smartphones, Tablets und E-Reader, auf die gegenwärtige Vorlesesituation der deutschen Familien in den Vordergrund. Insgesamt wurden für diese als repräsentativ bezeichnete Studie 500 Eltern mit mindestens einem Kind im Alter von 2 bis 8 Jahren befragt.

Die Vorlesestudie wird seit 2007 jährlich und aufeinander aufbauend durchgeführt. Besonders die Untersuchungsergebnisse aus den Jahren von 2007 bis 2010 lassen dabei nur den Schluss zu, dass die Vorlesesituation in Deutschland unzureichend ist. Hier eine kurze Übersicht mit den bisherigen Erkenntnissen:

  • Bei der Befragung der Eltern  im Jahr 2007 hat sich ergeben, dass 42% der Eltern in Deutschland ihren Kindern wenig oder gar nicht vorlesen.
  • Bei der Befragung der Kinder 2008 wurde herausgefunden, dass 4 von 5 Vätern ihren Kindern nicht vorlesen. Dies ist umso bedauerlicher, da Väter gerade für Jungs wichtige Vorbilder darstellen.
  • 2009 wurden die Väter zu ihrem Vorleseverhalten und -einstellungen befragt. Die Väter haben die wichtige Bedeutung des Vorlesens für ihre Kinder zwar bestätigt, sehen dies aber eher als eine Aufgabe der Mütter an. Sie selbst bevorzugen eher eine "aktive" Beschäftigung mit ihren Kindern.
  • 2010 wurden Eltern mit Migrationshintergrund befragt. Hierbei ergab sich, dass die Vorlesehäufigkeit von den Faktoren "formale Bildung" und "Herkunftsland" maßgeblich beeinflusst werden.
  • In der 2011er-Vorlesestudie standen ältere Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt der Befragung. Als wichtigstes Resultat lässt sich hier feststellen, dass das Vorlesen für die ganzheitliche Entwicklung eines Kindes eine zentrale Rolle einnimmt 

Nun zur aktuellen Vorlesestudie 2012. Hier eine Übersicht mit einigen wichtigen Erkenntnissen aus dieser Untersuchung:

  • Die Versorgung mit Smartphones in den befragten Familien ist mit 81% sehr hoch. Tablets sind mit 25% dagegen noch nicht mehrheitlich verbreitet. Der Lesestift kommt auf 8% und E-Book-Reader auf einen Anteil von erst 7% je Haushalt.
  • Smartphones und Tablets sind auch in Haushalten mit niedrigem Bildungsniveau praktisch genauso oft vorhanden wie in Familien mit mittlerem oder hohem Bildungsniveau.
  • Die Akzeptanz von Apps als Ergänzung beim Vorlesen steigt. So benutzt bereits jede siebte Familie Bilder- und Kinderbuch-Apps. Bei den Familien, die einen Tablet-Rechner besitzen, werden diese Apps bereits von jedem dritten Haushalt eingesetzt.
  • Die Bilder- und Kinderbuch-Apps kommen bei den Usern an, d.h. wer sie einmal ausprobiert hat, nutzt sie später in der großen Mehrheit wieder. Lediglich für 13% der Umfrageteilnehmer waren die Apps eine einmalige Angelegenheit.
  • In den Medien wird gerne von einem Verdrängungsprozess von Print zu Gunsten digitaler Inhalten spekuliert. Die vorliegende Untersuchung liefert eher einen Hinweis darauf, dass die User Digital als Ergänzung zu Print sehen und auch gerne beide Formen benutzen, d.h. die Bilder- und Kinderbuch-Apps ersetzen das Vorlesen aus einem gedruckten Buch nicht, sondern werden nur in bestimmten Situation eingesetzt. Das Vorlesen über Apps bieten sich so in erster Linie für unterwegs, z.B. bei Reisen, an.
  • Als Gründe für den Einsatz von Bilder- und Kinderbuch-Apps werden etwa die Multimediamöglichkeiten wie Geräusche oder Musik, die Technikbegeisterung der Kinder und die größere Auswahl an Titeln genannt.
  • Bei denjenigen Eltern, die Apps grundsätzlich ablehnen, werden Gründe wie "Ich bevorzuge gedruckte Bücher" (68%) oder schlicht "Ich habe keine Interesse" (59%) genannt. Weitere 56% sagen, dass sie sich nicht mit Apps auskennen und 51% sehen Apps für diese Aufgabe als nicht sinnvoll an.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass elektronischen Lesegeräten wie Smartphones, Tablets oder E-Book-Reader zur Förderung des Vorlesens in Zukunft eine wichtige Rolle zukommen kann. Die vorliegende Untersuchung mag vielleicht für die aktuelle Sichtweise auf das Nutzungsverhalten von digitalen Medien kaum verwertbare Hinweise liefern. Auf lange Sicht liefert die Studie aber erste Einblicke, wie sich eine kommende Generation an Benutzern entwickeln und verhalten wird. Wenn schon in sehr jungen Jahren diese digitalen Geräte eingesetzt werden, ist der spätere Umgang wohl keine Überraschung. Die steigende Akzeptanz der Eltern beim Einsatz von digitalen Medien, die zwar derzeit das gedruckte Buch noch längst nicht verdrängen können, liefert einem weiteren Puzzlestein in einem mittel- bis langfristig neuen Medienverhalten.

Quelle:
http://www.stiftunglesen.de/vorlesestudie-2012

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