Studie der Europäischen Kommission zu Open Access
Datum: 4. Oktober 2013
Autor: Erwin König
Kategorien: Kurz notiert

Glaubt man einer aktuellen von der EU-Kommission finanzierten Untersuchung, hat sich das Open Access-Prinzip als Veröffentlichungsform von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen bald endgültig durchgesetzt. Laut dieser Studie ist im Jahr 2011 die Hälfte aller publizierten wissenschaftlichen Forschungsbeiträge kostenlos und öffentlich zugänglich im Internet verfügbar gewesen. Der Anteil an erhältlichen Open Access-Artikeln ist damit in dieser Untersuchung wesentlich höher, als aufgrund einer Pilotstudie bisher geschätzt wurde. Wie sind diese abweichenden Ergebnisse zu früheren Untersuchungen zu erklären, und stehen wir tatsächlich kurz vor einem entscheidenden Kulturwandel bei der wissenschaftlichen Kommunikation?

Durchgeführt wurde die Studie von dem kanadischen Beratungsunternehmen Science-Metrix. Insgesamt wurden von Science-Metrix 320.000 mit dem Peer-Review-Verfahren geprüfte Fachartikel Artikel analysiert, die in 22 Fachgebieten und im Zeitraum von 2008 bis 2011 veröffentlicht wurden. Quellen der Fachbeiträge sind öffentliche zugängliche Dokumentenserver für wissenschaftliche Literatur wie arXiv und PubMed Central (PMC), das wissenschaftliche Forschernetzwerk ResearchGate, Verlagswebseiten und Homepages von Forschungseinrichtungen. Geographisch stammen die akademischen Veröffentlichungen aus den Ländern des europäischen Forschungsraums, Brasilien, Japan, Kanada und den USA.

Folgende Erkenntnisse hat die Studie u.a. hervorgebracht:

  • Bei einer Pilot-Studie aus dem Jahr 2008, wo 20.000 wissenschaftliche Beiträge aus der Scopus-Datenbank von Elsevier zufällig ausgewählt wurden, hat man damals einen Anteil von 22% an Open Access-Artikel festgestellt. Im Jahr 2012 wurde erneut eine Teilmenge von 500 Datensätzen zufällig aus diesen 20.000 Artikeln gezogen und nach ihrer freien Verfügbarkeit ausgewertet. Diese Stichprobe lässt den Schluss zu, dass 48% der im Jahr 2008 veröffentlichten wissenschaftlichen Beiträge im Dezember 2012 kostenlos im Internet erhältlich sind.
  • Als Gründe für die relativ hohe Abweichung zu früheren Untersuchungen werden von den Studienautoren die breitere wissenschaftliche Themenabdeckung von Scopus im Vergleich zu Thomson Reuters’ Web of Science (WoS) sowie die mangelhafte Trefferquote von Google Scholar genannt. Als weiterer Grund wird auch die zeitliche Verzögerung für manche Fachartikel genannt, die durch ein Embargo von Verlagen entstanden sind. Generell gibt es auch methodische Unterschiede. Die Autoren der vorliegenden Untersuchung berücksichtigen alle Arten von frei erhältlichen Kopien eines Beitrags im Web – unabhängig von seinem Veröffentlichungsstatus – als Open Access-Artikel.
  • Weltweit sind laut der neuen Untersuchung von Science-Metrix 43% aller wissenschaftlichen Beiträge als Open Access verfügbar. Den höchsten Anteil an Open Access verfügbaren Beiträgen hat Brasilien mit 63%. Deutschland kommt auf 45%. Damit hat Deutschland - wenn man einige kleiner Länder mit einer sehr geringen wissenschaftlichen Publikationstätigkeit außen vor lässt – zusammen mit Bulgarien, Polen, Griechenland und der Tschechischen Republik die geringste Open Access-Rate.
  • Die Autoren sind zudem der Meinung, dass der Anteil von Artikeln, die als Open Access-Veröffentlichungen erhältlich sind, wahrscheinlich noch etwas höher sein dürfte, da keine der verwandten Suchmaschinen in der Lage ist, zu 100% alle verfügbaren wissenschaftlichen Fachbeiträge im Web aufzufinden. Aus diesem Grund wird vermutet, dass im Dezember 2012 eher mehr als die Hälfte der im Jahr 2008 publizierten Artikel frei im Web verfügbar sind.

Die vorliegende Studie zeigt auf, dass in verschiedenen Ländern wie Brasilien, der Schweiz, der Niederlande und den USA bereits ein entscheidender Wendepunkt für die Verbreitung von Open Access (mehr als 50% aller veröffentlichten Fachartikel sind frei im Internet erhältlich) erreicht wurde. Dies gilt auch für die Open Access-Bestrebungen in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, wie der biomedizinischen Forschung, Biologie, Mathematik und Statistik. Durch neue politische Bestrebungen, wie die gerade verabschiedete Open-Access-Richtlinie der amerikanischen Regierung, wird damit gerechnet, dass sich der Anteil von frei verfügbaren wissenschaftlichen Forschungsbeiträgen in den nächsten Jahren noch weiter erhöhen dürfte.

All dies zusammen genommen lässt den Schluss zu, dass Open Access für die wissenschaftliche Informationsversorgung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter an Bedeutung gewinnen wird. Für die Verlage von kommerziellen wissenschaftlichen Publikationen wird Open Access auf mittelfristige Sicht eine große Herausforderung darstellen. Diese sollten das Beispiel der verschiedenen Open Source-Projekte in der Informationstechnologie als einschlägige Warnung nehmen. Mag sein, dass Linux von vielen heute noch immer als die Tüftelei von einigen Computer-Nerds betrachtet wird, und Microsoft mit seinen diversen Windows-Versionen den Betriebssystem-Markt für  PCs weiterhin klar beherrscht. Aber gerade der PC als Auslaufmodell verliert immer mehr Boden an mobile Endgeräte wie Tablets und Smartphones. Und auf diesen neuen "Märkten" dominiert Open Source eindeutig. So ist das auf Linux basierende Open Source Betriebssystem Android von Google heute auf vier von fünf verkauften Smartphones installiert. Microsoft kommt mit seinem geschlossenen System namens Windows Phone gerade einmal auf nur 3,7%.

Kritisch anzumerken ist, dass die Studie die Definition, was Open Access ist, doch etwas fragwürdig erweitert (Gold OA, Green OA, Hybrid OA). Einfach alle frei im Web erhältlichen Fachartikel, unabhängig z.B. von ihrem Publikationsstatus, als Open Access zu bezeichnen, ist zumindest diskussionswürdig. Auch die zeitliche Differenz von publiziertem Fachartikel und der als Open Access erhältlichen Version des gleichen Artikels scheint den eigentlichen Zielen von Open Access nicht zu entsprechen. Ziel sollte es sein, zeitnah zu der Publikation eines in einer kommerziellen Wissenschaftszeitschrift erschienen Beitrags auch in einer Open Acces-Version zu veröffentlichen. Vier Jahre Zeitunterschied scheint in dieser Hinsicht nicht unbedingt den Anspruch der Zeitnähe erfüllen zu können.

Allgemein nehmen die "Open"-Bestrebungen in unserer Informationsgesellschaft zu, gleichgültig ob es sich um Open Data, MOOCs oder Open Graph handelt. Die Unterstützung durch die Politik ist aber nicht immer  umfassend. So hat aktuell das Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft" den Bundesrat aufgefordert, der bereits im Bundestag zugestimmten Änderung des Urheberrechts nicht zuzustimmen. Hintergrund ist der, dass die in diesem Bündnis zusammengeschlossenen Wissenschaftler und Institutionen der Meinung sind, dass die in diesem Gesetz enthaltenen Bestimmungen für ein neues "Zweitveröffentlichungsrecht" für wissenschaftliche Publikationen nicht weit genug gehen.

Ob reine Open Access-Publikationen in absehbarer Zeit die Bedeutung von führenden kommerziellen Publikationen für die wissenschaftliche Forschung erreichen können, lässt sich aber auch mit dieser Untersuchung nicht beantworten.

Quelle:

Archambault, Eric et al.; Science-Metrix (Hrsg.): "Proportion of Open Access Peer-Reviewed Papers at the European and World Levels—2004-2011"; August 2013, online abrufbar unter http://www.science-metrix.com/pdf/SM_EC_OA_Availability_2004-2011.pdf

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