Interesse an Altmetrics ist groß, entsprechende Kenntnisse fehlen noch
Datum: 6. November 2016
Autor: Erwin König
Kategorien: Fachartikel

In den letzten Jahren sind der klassische Journal Impact Factor (JIF) oder die bloße Zählung von Zitierungen als Methoden zur Beurteilung der Relevanz von wissenschaftlichen Beiträgen verstärkt in die Kritik geraten. Mit dem JIF soll z.B. der Einfluss einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift gemessen werden, wobei die durchschnittliche Anzahl der Zitationen herangezogen wird, die die in dieser Zeitschrift publizierten Fachartikel erhalten. Welchen Einfluss ein bestimmter Fachartikel allerdings tatsächlich hat, darüber sagt diese Kennziffer nur relativ wenig aus. Als Alternative zu dieser Messung auf Zeitschriftenebene sind in den letzten Jahren vermehrt die sogenannten Altmetrics ins Spiel gebracht worden. Diese alternativen Metriken können einerseits zur Wirkungsmessung auf der Ebene einer einzelnen wissenschaftlichen Veröffentlichung eingesetzt werden, wie z.B. einen Fachartikel, einen Konferenzbeitrag oder ein Kapitel in einem wissenschaftlichen Buch. Außerdem werden, neben der Anzahl der Zitate in anderen wissenschaftlichen Zeitschriften, auch zusätzliche Faktoren berücksichtigt, wie die Anzahl der Nennungen in sozialen Medien oder die Download-Zahlen dieses Beitrags. Damit ist die Einflussmessung durch Altmetrics breiter als die nur auf die reine Fachcommunity zielende Bibliometrie. Inwieweit diese alternative Messung den Einfluss eines Fachartikels besser oder schlechter misst als die klassische Methode mittels JIF, sei dahin gestellt. In diesem Beitrag wird untersucht, inwieweit Bibliothekare mit dem neuen Konzept der Altmetrics schon vertraut sind, und welche Fachkenntnisse auf diesem Gebiet vorhanden sind.

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Die Messung der Forschungsqualität basierend auf der Zählung von Zitaten ist generell problematisch, da es oftmals Jahre dauern kann, bis sich der Einfluss eines Artikels bemerkbar macht. Zudem fehlt es in manchen Fachgebieten an entsprechenden Fachzeitschriften. In den letzten Jahren sind vermehrt neue Varianten der Zitationsanalyse aufgekommen, wie der H-Index, der G-Index oder Googles i10-Index. Die Akzeptanz bzw. der Erfolg dieser Kennzahlen hält sich bisher aber in engen Grenzen.

Der JIF und die Anzahl der Zitationen bestimmt heute zwar immer noch weitgehend über das Ansehen und die Karriere eines Wissenschaftlers, allerdings können diese Kennziffern schon lange nicht mehr mit der digitalen Transformation der wissenschaftlichen Kommunikation mithalten. Inzwischen haben sich zahlreiche neue soziale Kanäle und Plattformen gebildet, über die wissenschaftliche Publikationen verbreitet und publiziert werden, wie ResearchGate, Academia.edu, Facebook, Twitter oder sogar Pinterest. Nicht mehr allein die Veröffentlichung in einer kommerziellen Fachzeitschrift bestimmt über die Verbreitung von wissenschaftlichen Studien, sondern immer mehr auch soziale Medien.

Mittels dieser Studie sollen folgende Untersuchungsfragen beantwortet werden:

  • Sind wissenschaftliche Bibliothekare mehr mit etablierten Verfahren zur Messung der Forschungsqualität (Bibliometrie) vertraut als mit dem neu aufkommenden Gebiet der sogenannten Altmetrics?

  • Welche Meinung haben die Informationsspezialisten zu Altmetrics im Vergleich zur klassischen Bibliometrie?

  • Werden die wissenschaftlichen Bibliothekare von den Dozenten aufgefordert, Informationen über neue, alternative Impact-Kennziffern bereitzustellen? Und wenn Ja, was zeichnet diese Interaktionen aus?

  • Was machen wissenschaftliche Bibliothekare, oder was können sie tun bezüglich Altmetrics?

Die vorliegende Studie basiert auf der Befragung von wissenschaftlichen Bibliothekaren aus dem US-Staat Oklahoma. Insgesamt wurden 228 Informationsspezialisten identifiziert, die den vorgegebenen Kriterien entsprachen, und kontaktiert. Teilgenommen haben insgesamt 58 Bibliothekare (entspricht einer Rücklaufquote von 25,4 %). An Ergebnissen haben sich u.a. ergeben:

  • 8,6 % oder 5 Informationsspezialisten haben angegeben, schon sehr vertraut mit Altmetrics zu sein. 25,9 % (15 Personen) haben gesagt, dass sie gar keine Ahnung von Almetrics haben. Die Mehrheit der Umfrageteilnehmer liegt zwischen diesen zwei Antwortpolen, d.h. sie haben "etwas" Ahnung (34,5 %, 20 Personen) bzw. "sind nicht sehr vertraut damit" (31 %, 18 Teilnehmer).

  • Bei der Frage, welche klassischen bibliometrischen Verfahren sie aus einer vorgegebenen Liste kennen, haben 20,7 % angegeben, keine der zur Auswahl stehenden Methoden zu kennen. Am bekanntesten sind die Methode der Zitate-Zählungen (74,1 %) und der JIF (65,5 %). 24,1 % kennen zwar den H-Index, aber i10-Index (5,2 %) oder der G-Index (1,7 %) sind nur einer kleinen Minderheit bekannt.

  • Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Informationsspezialist ein bestimmtes Altmetrics-Tool kennt, ist allerdings noch deutlich geringer. Knapp zwei Drittel (63,8 %) sind nicht mit einem der zur Auswahl stehenden Altmetrics-Verfahren vertraut. 25,9 % haben schon einmal von Altmetric.com und 24,1 % von Mendeley gehört. Noch weniger bekannt sind Impactstory (13,8 %) und PlumX (8,6 %).

  • Knapp zwei Drittel (65,5 %) der befragten Bibliothekare sind der Meinung, dass die Zählung von Zitierungen eine effektive Vorgehensweise ist, um den Einfluss eines wissenschaftlichen Artikels zu messen. Der Journal Impact Factor wird zu 39,7 % als eine effektive Methoden angesehen, und Altmetrics zu 31,0 %, um die Relevanz eines wissenschaftlichen Artikels zu bestimmen.

  • Von der Möglichkeit, einen offenen Kommentar abzugeben, haben 11 Teilnehmer Gebrauch gemacht. Darin wird u.a. die Ansicht geäußert, dass mit Altmetrics möglicherweise bestehende Probleme bei den klassischen Verfahren gelöst werden können. Zu diesen möglichen Problemen zählt etwa die Vorstellung, dass von einem oft zitierten Autor möglicherweise "Müll" veröffentlicht wird, dieser Beitrag später wieder zurückgezogen wird, aber der Artikel schon eine hohe Anzahl von Zitierungen erhalten hat. Außerdem kommt selbst nichtzitierten Fachartikeln eine wichtige Bedeutung für die Forschung zu Gute, die aber nicht anhand der Anzahl Zitate gemessen werden kann.

  • Bisher haben Lehrkräfte oder Studenten nur sehr selten Informationen über Altmetrics von wissenschaftlichen Bibliothekaren angefordert. 89,7 % der Teilnehmer haben keine einzige solche Anfrage erhalten, 8,6 % erhielten zwischen 1 und 5 Anfragen, und ein einziger Bibliothekar (entspricht 1,7 %) erhielt zwischen 6 bis 10 entsprechende Anfragen.

  • Das Interesse an Altmetrics-Fortbildungen unter den befragten Bibliothekaren ist sehr groß. So würden 84,2 % einen kostenfrei von ihrer Institution angebotenen Workshop besuchen.

Die vorliegenden Resultate zeigen, wie wohl zu erwarten war, dass Bibliothekare aktuell (noch) nicht so vertraut sind mit Altmetrics, wie dies bei der klassischen Bibliometrie der Fall ist. Die Kenntnisse mögen zwar (noch) gering sein, allerdings ist das Interesse an Schulungen unter den Informationsspezialisten an diesen alternativen Metriken zur Bestimmung des Einflusses eines Beitrags sehr groß. Ebenfalls wird die Wirksamkeit dieser neuen Methode anerkannt, d.h. die Nachteile von klassischen bibliometrischen Verfahren ist vielen inzwischen bewusst geworden.

Wer übrigens nicht unbedingt einen Kurs oder ein Seminar besuchen will, kann sich mit einer neuen herausgegeben Publikation von Altmetric hilfsweise behelfen. Diese enthält 100 und mehr Tipps, Tricks und Beispiele für die richtige Nutzung von Altmetriken für Informationsspezialisten. Aus dieser Dokumentation ebenfalls einige interessante Aussagen:

  • Negative Tweets oder Zitierungen spielen praktisch keine Rolle. Untersuchungen haben gezeigt, dass nur 0,9 % der Tweets und 5-14 % der Zitierungen negativ sind.

  • Im Gegensatz zu der weitverbreiteten Meinung, dass Altmetrics nur die Zählung der Zitierungen in sozialen Medien umfasst, machen diese effektiv nur einen kleinen Teil aus. Artikelaufrufe, Downloads, diverse Peer Review-Seiten, Expertenempfehlungen etc. zählen ebenfalls zu den alternativen Metriken. Tweets ersetzen also nicht Zitierungen, sondern ergänzen sie vielmehr.

  • Und man muss nicht selber auf sozialen Medien aktiv sein, bzw. diese für sinnvoll zu halten, um Altmetrics einsetzen zu können.

  • Jede alternative Metrik sollte immer im Kontext betrachtet und präsentiert werden (z.B. Fachgebiet, Publikationstyp etc.) sowie sicherstellen, dass die zugehörigen Daten in verantwortungsvoller Weise gesammelt werden.

  • Laut einer aktuellen Studie sind 74 % der wissenschaftlichen Bibliothekare regelmäßig für die Bestandsentwicklung verantwortlich. Altmetrics ist eine von vielen Datenarten, mit denen über Kauf oder Ausmusterung entschieden werden kann. Jeder Datentyp bietet einen speziell Einblick in die Nutzung dieser Materialien in einer Institution.

  • Es dürfte demnächst verbindliche Standards für Altmetrics geben. Die National Information Standards Organization (NISO) arbeitet aktuell an entsprechenden Normen und Vorgehensweisen für Altmetrics (siehe http://www.niso.org/apps/group_public/document.php?document_id=13295).

Quelle: Almetric (Hrsg.): "Altmetrics for Librarians: 100+ tips, tricks, and examples"; Oktober 2016, online abrufbar unter https://www.altmetric.com/libraries-ebook/ bzw. https://ndownloader.figshare.com/files/6219537 (direkter Download-Link)
Malone, Tara; Burke, Susan: "Academic Librarians’ Knowledge of Bibliometrics and Altmetrics"; in: Evidence Based Library and Information Practice, 2016, Vol. 11, No. 3, http://dx.doi.org/10.18438/B85G9J

Schlagwörter: Altmetrics, Bibliometrie, Journal Impact Factor (JIF), soziale Medien, Zitierungen

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