Eine Online-Plattform für alle Bibliotheken?
Datum: 3. Oktober 2017
Autor: Erwin König
Kategorien: Kurz notiert

Weltweit sind Bibliotheken aller Art unter der Bezeichnung „Bibliothek" schon seit Jahrhunderten eine festverankerte Marke. Allerdings gibt es Abertausende dieser Informationseinrichtungen, die relativ unabhängig von allen anderen Bibliotheken ihrer Arbeit nachgehen, sieht man von den einschlägigen Katalogisierungsregeln und Regeln für die nationale und internationale Fernleihe einmal ab. Die British Library soll aus diesem Grund demnächst in einem über 18 Monate angelegten Projekt die Nachfrage und Chancen für den Aufbau einer einzigen, gemeinsamen Online-Präsenz für alle britischen öffentlichen Bibliotheken untersuchen. Das Projekt basiert auf Vorschlägen der Single Digital Libraries Presence Steering Group, die bereits vor geraumer Zeit zahlreiche Ideen für so eine gemeinsame Plattform erarbeitet hat. Diese Initiative geht wiederum zurück auf die Empfehlungen von William Sieghart aus dem Bericht Independent Library Report for England (https://www.gov.uk/government/publications/independent-library-report-for-england).

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Hintergrund all dieser Bestrebungen ist natürlich der digitale Wandel, der öffentliche Bibliotheken zu schnellen und weitreichenden Veränderungen drängt, um weiterhin für die Bürger relevante und häufig genutzte Dienstleistungen zu erbringen. Personalisierte, digitale, mobil nutzbare Plattformen, die zudem über verschiedene Kommunikationskanäle nutzbar sind, sind heute im Leben der meisten Menschen einfach eine Norm, die man nicht außer Acht lassen kann. Vorbilder für solch eine große Plattform sind natürlich Amazon, eBay und Konsorten, die eine ganze Reihe von Funktionen für ihre User bereitstellen, von sozialen Medien bis Suchmaschinen, Marktplätzen bis hin zu diversen Kommunikations- und Zusammenarbeitsmöglichkeiten.

Der hier vorgestellte Grundlagenbericht beleuchtet das Konzept und die Notwendigkeit einer einzigen digitalen Präsenz für öffentliche Bibliotheken. Eine einzige digitale Präsenz könnte für aktuelle und potenzielle Nutzer der öffentlichen Bibliotheken in Großbritannien sowie für die bestehenden Bibliotheksdienste weitreichende Veränderungen nach sich ziehen. Der Bericht, der gemeinsam von dem Carnegie UK Trust und dem Arts Council England verfasst wurde, basiert auf einer Diskussionsrunde mit wichtigen Stakeholdern aus dem Vereinigten Königreich im Dezember 2016. In den kommenden Monaten ist es nun die Aufgabe der Britisch Library, die Chancen und die Akzeptanz für eine effektive Umsetzung dieses Projekts für eine einzige digitale Präsenz zu erkunden.

Welche Vorteile bietet nun eine einzige gemeinsame Web-Präsenz der britischen Bibliotheken? In dem vorgestellten Bericht werden für die Bibliotheksbenutzer folgende Punkte genannt:

  • Ansprechende und qualitativ hochwertige Inhalte und Dienstleistungen, die einfach von den Benutzern abgerufen werden können, und dies völlig unabhängig von Ort und Zeit.

  • Die Benutzer erhalten ein besseres Verständnis und Möglichkeiten, die von den Bibliotheken bereitgestellten Informationen und Quellen zu verwenden.

  • Die Benutzer können Inhalte allein oder zusammen mit anderen recherchieren und erstellen.

  • Die Benutzer erhalten die Möglichkeit, sich über neue Kanäle mit Bibliotheken, der Verlagsbranche und anderen Partnern dieser Plattform besser zu vernetzen.

Als Vorteile für die Bibliotheken selbst werden in diesem Zusammenhang genannt:

  • Erhöhte Sichtbarkeit, Nutzung und Wirkung der Bibliotheksdienste durch eine landesweite Koordination bei Gesprächen, Angeboten und verbesserten Materialien, die auf den Sammlungsinhalten der Bibliotheken basieren.

  • Verstärkte Zusammenarbeit zwischen Bibliotheken, nationalen und lokalen Partnern sowie mit Informationsanbietern, um die Entwicklung, Beschaffung und Lieferung von Inhalten und Dienstleistungen zu verbessern.

  • Diese Präsenz dient auch als Plattform für die Bibliotheksmitarbeiter, um optimale Praktiken zu kommunizieren und zu vermitteln.

  • Dieser landesweite Ansatz ermöglicht einen positiven Wandel auf die kostengünstigste Weise. Bibliotheken können dabei trotzdem ihre regionale Marke bewahren/pflegen und gleichzeitig wird verhindert, dass Investitionen in die Entwicklung von lokalen Lösungen mehrfach gemacht werden müssen.

Als Vorteile für die Entscheidungsträger werden aufgeführt:

  • Ein signifikant verbessertes Kosten-Leistungs-Verhältnis.

  • Die Möglichkeiten zur Anbindung dieser gemeinsamen Bibliotheksplattform an andere große Online-Plattformen, die es erlauben, auch weitere regionale und nationale Angebote zu integrieren (z.B. rund um Themen wie Kultur, Bildung und Kompetenzen-Vermittlung).

  • Indem sich die Entscheidungsträger in England das Motto „Libraries First" zu eigen machen, können auch andere, zusätzliche regionale Dienstleistungsangebote in diese gemeinsame Bibliotheks-Plattform integriert werden.

Fasst man alle Argumente zusammen, wird offensichtlich, dass die Angebote und Dienste von öffentlichen Bibliotheken erheblich aufgewertet werden könnten, wenn Bibliotheken sich als ein nationales Netzwerk verstehen und gemeinsam agieren würden. Die Bibliotheksbranche kann durch das Verknüpfen von bestehendem Fachwissen und dem Austausch von Ideen wesentlich mehr erreichen, als dies bisher der Fall ist. Nicht mehr die bisherige Praxis von zigtausenden verschiedenen Sammlungen in ebenso vielen verschiedenen Bibliotheken steht dann mehr im Vordergrund. Durch die Zusammenarbeit ist es auch möglich, die Kosten zu senken. Gerade in Zeiten knapper Staatskassen ein wichtiger Punkt. Und ebenfalls nicht erheblich, durch eine einzige gemeinsame Web-Plattform eröffnen sich auch völlig neue Chancen. So können Bibliotheken auch zu Partnern für andere, nicht-bibliothekarische Dienstleistungen werden. Und das Wichtigste: Die Bibliotheksbenutzer profitieren erheblich von einer gemeinsamen digitalen Plattform der Bibliotheken. Anzumerken ist, dass alle diese Möglichkeiten erst noch wesentlich intensiver untersucht werden müssen, um zu einem abschließenden Urteil zu kommen. Auch die Frage der Investitionen in diese digitale Plattform ist natürlich – neben einem entsprechenden Interesse einer Vielzahl von Bibliotheken – ein noch nicht geklärter „Knackpunkt" bei dieser umfassenden Vision der Bibliotheken im 21. Jahrhundert.

In Deutschland ist das Thema von einer einzigen gemeinsamen und nationalen Bibliotheks-Plattform allerdings bisher nicht existent. In den angloamerikanischen Ländern, speziell den USA und Großbritannien, wird dies aber immer konkreter und häufiger diskutiert. Für viele Experten braucht es dringend neue Wege, um die Bibliotheken wirklich für das 21. Jahrhundert zukunftsfähig zu machen. Tatsache ist, dass die technologische Entwicklung sehr schnell abläuft. Hier auf der Höhe der Zeit zu bleiben, ist aufgrund des benötigten technischen Know-hows, des Personalaufwands und der Kosten eigentlich nur für sehr große Bibliotheken möglich. Wer sich in Deutschland die diversen im Web verfügbaren OPACs gerade von kleineren Bibliotheken – falls überhaupt vorhanden – betrachtet, erkennt sofort, dass diese oftmals nicht zeitgemäß sind. Als Leseempfehlung sei in diesem Zusammenhang auch auf einen in dieser Zeitschrift bereits vorgestellten Beitrag verwiesen, wo die Kosten für solch ein Projekt als verhältnismäßig niedrig beziffert werden: Ein Cloud-Katalog für alle!, Library Essentials, 9/2015, 10-13.

Quellen:
British Library (Hrsg.): "British Library to investigate possibility of a ‘single digital presence’ for UK public libraries"; Pressemitteilung vom 30. August 2017, online abrufbar unter http://press.artscouncil.org.uk/press_releases/a-digital-platform-for-libraries/

Peachey, Jenny; Ashley, Brian (Hrsg.): "Building a Single Digital Presence for Public Libraries Forging the Future Digital Service"; Carnegie UK Trust, August 2017, online verfügbar unter https://www.carnegieuktrust.org.uk/publications/building-single-digital-presence-public-libraries/

Schlagwörter:
Bibliotheken, digitaler Wandel, Online-Präsenz, Plattform, Zusammenarbeit

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