Editorial 3-2021
Datum: 21. April 2021
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Der Wert im Quantitativen

Es ist ein altes Thema, das in regelmäßigen Abständen wieder auftaucht: Der Versuch, einen messbaren Erfolgsnachweis von Bibliotheken zu liefern. Dabei ist die Frage, warum es Bibliotheken braucht, so alt wie die Bibliotheken selbst. Vielfältige Antworten darauf sind gegeben worden, die allermeisten sind richtig: Kulturelles oder wissenschaftliches Gedächtnis, Ort wertvoller Sammlungen und Materialien und deren Archivierung, Erschließung der Inhalte, Schaffung von Zugängen zu Literatur und Informationen, weder kommerzielles Interesse noch kommerzielle Abhängigkeiten, Zugang zu Informationen jenseits der Bezahlschranke, Angebot von Räumen, Arbeits- und Leseplätzen, Treffpunkt, sozialer Raum und vieles mehr.

Kaum je gelungen sind aber die Versuche, einen quantitativen Nutzennachweis von Bibliotheken und ihren Inhalten zu führen. So wichtige aber zugleich auch banale Fragen wie „Wird die Abschlussnote in Schule oder Studium durch die Nutzung der Bibliothek verbessert?ˮ oder „Wird die Forschung erfolgreicher, etwa die Zitationsrate einer wissenschaftlichen Publikation, wenn die Wissenschaftlerin Bibliotheksnagebote nutzt?ˮ sind nicht nachweisbar. Ist es aber vielleicht möglich oder denkbar, dass zumindest Korrelationen, wenn schon nicht Kausalitäten, hergestellt werden können zwischen der Nutzung einer Bibliothek und dem beruflichen oder wissenschaftlichen Erfolg? Wir versuchen dies zu klären in einem Beitrag ab Seite XXX.

Die Antwort liegt auf der Hand: Natürlich ist es nicht möglich, diesen direkten Nutzennachweis zu erbringen.
Auch die Gründe dafür liegen auf der Hand: Zu vielfältig und zu divers sind einerseits die Angebote, die Bibliotheken ihren Nutzerinnen und Nutzern heute bieten: Inhalte werden über die verschiedensten Formate bereitgestellt, Räumlichkeiten dienen nicht nur zur reinen Lernaktivität und zum Lesen. Die Services einer Bibliothek sind so vielfältig wie das Leben selbst. Persönliche Beratung, Unterstützung durch Online-Kurse, verschiedenste Fortbildungen. Es trägt so vieles gleichzeitig zum Erfolg oder Misserfolg von Studium und Forschung bei, dass eine direkte Abhängigkeit von der Nutzung einzelner Bibliotheksleistungen nicht expliziert werden kann.
Andererseits sind die Nutzungsformen dieser Angebote höchst divers und individuell, sie können ganz unterschiedlich in die Lebenswirklichkeiten der Menschen eingebaut werden: Im Lesesaal kann man nicht nur lesen, sondern auch träumen, denken und kombinieren (oder Menschen kennenlernen). Durch die Vielzahl der Treffer und Suchergebnisse im Online-Katalog ergeben sich neue Anregungen. Das Stöbern in Regalen bringt machen auf Ideen, die nicht sofort im messbaren Studienerfolgen münden, aber vielleicht in der Entdeckung einer besonderen Neigung oder eines neuen Hobbies. Die Bibliothek als sozialer Treffpunkt ist Stabilitätsanker für die meisten Studierenden, sie darf nicht fehlen im Zentrum des Campus und sie darf auch nicht geschlossen sein, wenn Uhrzeit oder Viren dies scheinbar diktieren.

Der Zusammenhang von Bibliotheksnutzung und den Ergebnissen von Studium und Forschung mag sich zwar nicht quantitativ darstellen lassen, die vielen positiven Einflüsse der Bibliothek, ihrer Angebote, ihrer Menschen und ihres Raumes auf die Lebenswelt ihrer Nutzerinnen und Nutzer sind aber unbestreitbar.
Es mag schwerfallen in Zeiten des Diktats des Quantitativen, Sinn und Nutzen von Bibliotheken durch Argumente und Qualitäten zu erklären. Aber vielleicht ist es genau das, was den Wert und die Besonderheit der Institution Bibliothek ausmacht.

Herzlich

Ihr Rafael Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.