Editorial 1-2015
Datum: 9. Februar 2015
Autor: Rafael Ball
Kategorien: Editorial

Und wer berät Sie?

Die persönliche Beratung durch Fachleute ist zweifellos in allen Branchen eine der am schwierigsten zu beurteilenden Dienstleistungen überhaupt.
„Gefühlt“ ist der direkte Kontakt von Anbieter und Kunde eine äußerst wertvolle Dimension einer Kundenbeziehung. Gleichzeitig ist die Bedeutung dieser Leistung nur schwer zu messen und im Preis/Leistungsverhältnis nicht ganz günstig. Viele Beratungsleistungen werden deshalb schon lange automatisiert. In der analogen Welt waren das Broschüren und Handreichungen, während die digitale Welt einen ganzen Strauß an (technischen) Werkzeugen zur Online-Kundenberatung bereithält.

Auch und gerade in Bibliotheken müssen Beratungsdienstleistungen immer wieder auf den Prüfstand. Denn sie erfordern einen aufwändigen Personaleinsatz, Schulungen und Einsatzpläne. Und das bei oft ungewissem Nutzen. Denn gerade in der Informationswelt ist Online-Beratung schon weit verbreitet und offensichtlich auch machbar. Dennoch schätzen die Nutzer eine persönliche Auskunft als vertrauenswürdiger ein als eine maschinelle (Social question and answer services versus library virtual reference: evaluation and comparison from the users' perspective"; in: Information Research, 2014, Vol. 19, No. 4, December)

Gleichzeitig erwarten die Nutzer von einer Bibliotheksauskunft immer mehr handlungsrelevante Antworten. Die einfachen Informationen nach vorhandener Literatur treten immer mehr in den Hintergrund. Inwiefern aber Bibliotheken diese qualitativen Leistungen bereits erbringen können, ist noch nicht ausgemacht.
Aus dem angelsächsischen Raum kommt der Begriff „Research Consultation“. Sie könnte ein Vorbild sein für eine qualitativ hochwertige und persönliche Beratung jenseits der subjektiv völlig unterschiedlichen und mehr oder weniger zufälligen Beratung, wie sie jetzt schon von den Fachreferenten in wissenschaftlichen Bibliotheken angeboten wird. Denn alleine die Behauptung, „Beratungsgespräche“ zu führen, sagt noch nichts aus. Sie ist noch weit entfernt von einer objektivierten und standardisierten professionellen Beratung, die punktgenau und zielgruppenspezifisch, zeitlich und vom Umfang der Leistung her nachvollziehbar und objektivierbar angeboten werden soll.

Allzu oft verbergen sich hinter den angeführten Beratungsleistungen der Fachreferenten zufällige Einzelgespräche mit befreundeten Fakultätsmitgliedern; in jedem Falle jedoch keine quantifizierbaren und nachvollziehbaren Kundengespräche. Denn dazu bedarf es einer genauen Definition des Gesprächsziels, einer Vorbereitung, Termindurchführung und protokollierten Beratungsleistung. Erst wenn solche standardisierten Beratungsangebote vorliegen, kann von einer relevanten Beratungsleistung gesprochen werden.
Im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Fachhochschule Köln wurde untersucht, welche Chancen und Risiken für deutsche Bibliotheken bei der Einführung von sogenannten Research Consultation bestehen.

Die Einführung von „Research Consultation“ wäre ein toller Versuch, um nicht nur der Kundschaft Professionalität zu garantieren, sondern auch die eigenen Leistungen von Bibliothek und Bibliothekaren nachweisbar dokumentieren zu können.

Herzlich

Ihr R. Ball

Über Rafael Ball

Rafael Ball studierte die Fächer Biologie, Slawistik und Philosophie an den Universitäten Mainz, Warschau und Smolensk. 1994 wurde er am Institut für Allgemeine Botanik der Universität Mainz zum Dr. rer. nat. promoviert. Bekannt ist er für seine Ideen zur Bibliothek der Zukunft, zur Wissenschaftskommunikation und zur heutigen Rolle des gedruckten Buches. Er ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift B.I.T.online.